Der Aufstieg von Babel

 

Original graphic by Andrea Enziger. Text and graphic © Copyright Gerry Altmann, 1996.

 

Auszug eines Entwurfs aus "Der Aufstieg von Babel". © 1996 Gerry T.M. Altmann

 

Erster Teil

Mit dem Blick auf Babel


Jemand hat einmal gesagt, ein guter Titel für ein Buch über Sprache wäre "Lehren Sie Ihren Hund sprechen". Darin ist alles enthalten, um die Massen sofort anzusprechen; Hunde sind populär, und sie zu lehren, gleich was auch immer, ist eine Herausforderung. Einen Hund sprechen zu lehren wäre also schon einmal etwas. Der Titel würde sofort ein Mysterium nahelegen; Wie könnte jemand einen Hund lehren, das zu tun? Der Jammer ist, dass ein anderer Titel mindestens ebenso viel Zugkraft hätte, etwa "Lehren Sie Ihren Hund zu jonglieren". Wer legt eigentlich wirklich Wert auf Sprechen? Wir alle kommen damit ziemlich gut zurecht, sogar ohne dass wir gelehrt werden, wie man das macht. Ein ganzes Buch über Sprechen und wie wir das tun, klingt also ungefähr so interessant wie ein ganzes Buch über das Gehen und wie wir es zustandebringen. Andererseits ist Jonglieren, oder irgendeine andere solche Sache, schon etwas ganz anderes.

Sprache ist, anders als Jonglieren, eine menschliche Fähigkeit, die wir als selbstverständlich ansehen, so wie man eben zwei Beine, zwei Arme und einen Kopf hat. Niemand hat uns gelehrt, zwei Beine zu haben, so wie uns auch niemand gelehrt hat, zuzuhören, zu verstehen, und aus einem ganzen Wirrwarr von Lauten einen Sinn herauszufinden. Stellen Sie sich einmal vor, was es für die 180 Babys, die jede Minute geboren werden, heißen muss, plötzlich so eine Kakophonie von Geräuschen zu hören. Geburtshelfer sagen, der Grund, warum ein neugeborenes Baby, wenn es nackt ist, schreit, sei der, dass ihm kalt sei. Das hat es nie vorher gespürt. Es hat nie helle Lichter gesehen. Es hat nie den Klang einer menschlichen Stimme gehört, den Klang seiner eigenen Stimme, einen Hund bellen, die Autos draußen oder ein drüber fliegendes Flugzeug. Und doch bringt es das irgendwie zustande, aus den verschiedenen Lauten, die es hört, einen Sinn heraus zu bekommen; es lernt, Muster aus diesen Lauten heraus zu hören und mit diesen Mustern Bedeutungen zu verbinden, ja sogar selbst neue Muster hervor zu bringen. Es lernt, zu kommunizieren. Als Erwachsene tragen wir in uns das Wissen über Zehntausende verschiedener Wörter; was sie bedeuten, wie sie buchstabiert werden sollten, wie sie klingen, wie man die Muskeln von Lippen und Zunge bewegen muss, um sie auszusprechen, wie man sie aneinander reiht, um Sätze zu formen; kurz gesagt, wie man sie benutzt. Wir erwerben dieses Wissen als Kinder. Wie? Niemand hinterfrägt diese unglaubliche Leistung. Aber jonglieren lernen, das ist wirklich etwas, so scheint es, worüber es sich lohnt zu schreiben.

Wir nehmen unsere Fähigkeit als Spezies, zu sprechen und zu hören (und zu verstehen) für so selbstverständlich, dass wir meistens gar nicht das wirkliche Myterium erkennen, das sie umgibt, nämlich, wie wir es fertig bringen, das zu tun. Wie ist all diese Information über diese ganzen Wörter in unserem Gehirn gespeichert? Wie benutzen wir diese Information? Wir können schwerlich ein Hirn aufmachen und die Wörter darin nachsehen, etwa wie man durch ein Wörterbuch blättert. Und sogar der Gebrauch eines einfachen Wörterbuchs, das man durchblättern kann, setzt Wissen darüber voraus, wie das Wörterbuch organisiert ist, über die Natur des Alphabets, die Formen der einzelnen Buchstaben und so weiter. Wenn wir also ein Gehirn "durchblättern" und all die Information nachsehen könnten, die es enthält, wo würde dann all dieses andere Wissen zu finden sein, wie man das Wörterbuch des Gehirns benutzt? Und wo immer es ist, wo ist es dann her gekommen? Wir schätzen es selten, wie überarbeitet unsere Babys sind; sie müssen ja weitaus mehr tun, als nur ihre Wörterbücher im Hirn zu benutzen, sie müssen sie zuerst einmal anlegen und einen Weg herausfinden, sie zu benutzen. Und wer hilft ihnen dabei? Aus der gesprochenen Sprache, die wir ihnen anbieten, einen Sinn herauszufinden, ist sicher keine leichte Aufgabe. Gesprochene Sprache ist anders als geschriebene. Ihre Worte sind ziemlich anders beschaffen:

esgibtkeinezwischenräumezwischenihnenaberdasistwohldasgeringsteproblem.

Der Großteil der gesprochenen Sprache, die wir rund um uns hören, ist nur eine lange, dauernde und sich verändernde Klangkette, - Sie brauchen nur einmal jemandem zuhören, der eine Sprache spricht, die Sie voher nie gehört haben. Im Grunde ist Sprache ein Alptraum. Sicher, da Vinci und Einstein waren klug, aber Ihr Durchschnittsbaby schneidet punkto Intelligenz dem gegenüber nicht schlecht ab.

Also gibt es dieses Mysterium, und wie jedes Mysterium hat es seinen Anteil an Faszination, Erregung, Entdeckung, Argumenten und Gegenargumenten. Gerade so wie Kosmologen und Quantenphysiker nach einer vereinheitlichten Theorie des Universums suchen, fahnden Psycholinguisten nach einer vereinheitlichten Theorie darüber, wie wir Sprache hervorbringen und verstehen. Die bei ihrer Suche angewandten wissenschaftlichen Methoden können ebenso streng und wissenschaftlich sein wie die jener, die Theorien gerade so plausibel (oder unplausibel). Und die Spannung ist mindestens genauso groß. Als Wissenschaftler entdeckten, das die Hintergrundstrahlung im All nicht gleichförmig ist, sondern sich kräuselt (ziemlich so, wie sich Wasser kräuselt), gab es in vielen der größeren Zeitungen der Welt Schlagzeilen; die Aufregung, welche diese Nachrichten verursachten, entstand, weil sie uns ganz einfach etwas darüber verrieten, wie das All aufgebaut ist, wie es entstanden ist. Dieses Wissen allein war wert, der Welt mitgeteilt zu werden. Und doch, Sprache kann uns, so wie die Kräuselungen der Strahlung, die durch das Weltall zieht, etwas über den Geist sagen, und wie er sich aufbaut. Schlussendlich kommt das alles auf einfache Ästhetik heraus; man erregt sein von den Geheimnissen des Kosmos, oder eben den Mysterien des Geistes. Psycholinguisten erregen die Geheimnisse der Sprache.

 

Urheberrechte für diesen Auszug © 1996 Gerry T.M. Altmann Dieser Auszug darf nicht verändert oder zitiert werden, auf welche Art auch immer, ohne Erlaubnis durch den Autor.