Tim Harrison: Gebete beim Zuschauen

Von Jan Vanderhorst

August 2001

 

Liederschreiber sind stets auf der Suche nach Inspiration, sei es eine Schlagzeile in einer Zeitung, ein Vorfall an einer Straßenecke, eine mitgehörte Bemerkung, oder sogar das Gebet eines kleinen Kindes, das man mit anhört. Manchmal sind es gerade diese unschuldigsten Momente im Leben, aus denen die ergreifendsten Lieder entstehen. Mit anderen Worten ein Geschenk des Himmels. Über so einen goldenen Augenblick war Tim Harrison gestolpert, als er eines Abends durch das Schlafzimmer seines Sohns ging.

"Es war für einen Schreiber einer dieser kostbaren Augenblicke", so berichtet er, "ich hörte zu, als Noah sein Abendgebet verrichtete. Das war, als er 8 oder 9 Jahre alt war, aber zu der Zeit wurden ihm gewisse Dinge klar über die Welt. Er hatte eine Menge Nachrichtensendungen über den Kosovokonflikt gesehen und versuchte nun, die Serben und die Muslime zu verstehen und das, dass ganze Nationen einander wegen kultureller Unterschiede nicht mochten. Das versetzte ihn wirklich in Schrecken. Und so war dieses Gebet nicht eines der üblichen automatischen Gutenachtgebete, sondern er hatte wirklich einen emotionell engagierten Ton in der Stimme und echte Besorgnis über den Konflikt. Dann begann er von all den anderen Sorgen, die er über die Welt hatte, zu reden, wie die Obdachlosen.

"In Toronto ist eben gerade das Obdachlosenproblem so sichtbar. Gruppenheime sind geschlossen worden, die Leute sind auf der Straße, und das sind Dinge, welche Kinder wahrnehmen. Noah reagierte auf das alles wirklich emotionell mit Ablehnung, und suchte nach Trost".

Das Lied, das daraus entstanden ist, "Prayer Watching," ist der Abschluss von Tim's neuer Aufnahme in der Second Avenue , "Sara And The Sea" (Sarah und das Meer). "Es ist wirklich ziemlich erstaunlich", setzt Tim hinzu, "wenn man aus dem Mund seines eigenen
Sohns ein Vokabular hört, das man von ihm nie erwartet hätte."

Du bittest um Wohnungen für die Obdachlosen,
Dass sie es in kälteren Nächten warm haben mögen,
Du bist dankbar, dass sie zu essen haben,
Und hoffst, dass andere genug Nahrung finden,
Du erwähnst Freunde, die von uns gegangen sind,
Und du hoffst, dass ihnen Gott einen Ort bereitet hat,
Wo sie alle glücklich sein können,
Und wo unsere Sorgen hier aufgelöst sind.

Die neue CD stellt Tim's eigene Lieder vor, mit Ausnahme einer Komposition von Phil Ochs, "When I'm Gone" (Wenn ich fort bin). Dieses alte Lieblingslied von Tim hatte am Anfang seiner Karriere tiefen Einfluss auf seinen Schreibstil gehabt und hat jetzt auch seinen Ansatz verändert, wie er seine Albums aufnimmt.

"Als ich ein Teenager war und Musik abspielte, waren 'When I'm Gone' und 'Changes' von Phil Ochs, und ein paar andere Liederschreiber wie Gordon Lightfoot für mich eine echt ernsthafte Inspiration, was den Schreibstil und die dichterische Ausgestaltung angeht. Und so habe ich letzthin bei jeder Aufnahme auch eine Titelmelodie entweder von einem traditionellen Lied, das ich gern mochte, oder ein Lied von einem anderen Liedermacher, den ich mag. Ich glaube, ich werde das so fortsetzen. Beim Nachdenken darüber, was ich bei diesem Album machen wollte, das ein sehr komprimiertes, sehr anhörbares Album ist, kam mir gerade in den Sinn, wie ich damals in meinen früheren Tagen "When I'm Gone" abspielte, und deshalb habe ich es in das Album aufgenommen."

Tim macht auch einen Schritt zurück zu seiner ersten Aufnahme, um sein Lied 'One Woman' zu überarbeiten. "Als ich eine halbe Retrospektive über meine letzte Aufnahme (mit dem Titel 'Tim Harrison') machte," sagt er, "hatte ich dieses Lied aus irgendeinem Grund übersehen. Jemand hat mich darauf als eine Art alte Erinnerung aufmerksam gemacht, so sah ich mir das Lied noch einmal an. Mir wurde bewusst, dass es, so sehr es auch ein Lied über eine verlorene Liebe war, doch auch ein feierhaftes Gefühl für die Liebe hat, was all unsere Erfahrungen angeht. So dachte ich, ich sollte damit herauskommen und schauen, was passiert."

'Sara And The Sea' ist stilistisch für Tim Harrison ein kleiner Schritt zurück. Seine Albums sind über die Jahre mehr "produziert" worden.

"Dieses ganze Album ist eigentlich ein Stück einer Studie der Umkehr," sagt er, "es gibt darauf keinen anderen Gitarristen, ich spiele alles selbst, und es hat äußerst einfache Arrangements. Das hat mich an und für sich dorthin zurück gebracht, wo ich in der Musik angefangen hatte.

"Ich war ziemlich viel in den USA aufgetreten und hatte das Phänomen wirklich genossen. So bringe ich jetzt meine Musik an einen Ort zurück, wo sie angefangen hat, aber das heißt gleichzeitig, sie auch dorthin zu bringen, wo sie jetzt ist."

In den letzten Jahren hatte Tim seine Tätigkeit auch ausgeweitet als Produzent für andere Künstler. Sein ausgeprägter Sinn für das, was nötig ist, um ein Lied sowohl künstlerisch, als auch stilistisch erfolgreich zu machen, hat ihn zu einem gesuchten Mann bei seinen Folk-Kollegen gemacht. "Sara And The Sea" jedoch ist das erste Mal, dass er eine eigene Aufnahme auch produziert hat, etwas, das er als eine recht entmutigende Erfahrung empfand.

"Es war etwas seltsam, insoweit als ich kein Feedback bekam, nicht einmal von einem Techniker", sagt Tim, "weil ich die Technik bei der Aufnahme auch selbst besorgte. Das war wirklich ein ganz anderes Gefühl und auch etwas irritierend. Jim Layeux, dessen Album ich als erstes in dem Studio produziert hatte, das wir aufgemacht hatten, ist zwar ab und zu vorbeigekommen, aber letztlich ist man doch auf sich allein gestellt.

"Als ich Jim's Aufnahme mischte, wusste ich beinahe intuitiv, wo die Dinge zusammen passten, was für mich richtig klang. Da konnte ich diese Entscheidungen mit absolutem Vertrauen treffen. Als es dann an meine eigene Musik ging, da verschwimmt dann die Grenze zwischen Intuition und dem, von dem man verstandesmäßig weiß, dass es richtig ist. So war das ein bisschen auch eine Übung in Disziplin, herauszubekommen, was richtig und
was falsch war. Was mir viel geholfen hat, das ist, dass ich doch eine Menge Studioerfahrung habe, so dass ich doch irgendwo weiß, wann meine Stimme das Richtige macht und wann nicht."

Sobald die hauptsächlichen Tracks aufgenommen waren, brachte Tim 5 Musikerfreunde dazu, um die Tracks mit Violine, Mandoline, Bass, Harmonika und Hintergrundgesang leicht "nachzuwürzen".

"Verglichen mit meiner letzten Produktion, wo 18 Musiker drauf sind, ist das eine wirkliche Wende!"

Wenn Sie mehr über Tim Harrison erfahren wollen, seine Webseitenadresse ist: timharrison.ca

Die Adresse seine Aufnahmelabels Second Avenue Records lautet: secondavenue.ca.

Die Email Adresse dazu ist: info@secondavenue.ca

Jan Vanderhorst kann erreicht werden unter:jan@hyperpeople.com