Der Regenmacher Und Ich

 

Gaither Stewart

November 2001

 

Ohne seine Augen vom Boden zu heben, spritzte der Gärtner das Wasser, das in sanftem Gelb, Blau und Grün aufleuchtete, beiläufig in Richtung auf die Rosenbüsche und gab dabei seine stündliche Wettervorhersage ab: “Va a llover! Señor! Es wird regnen, mein Herr. Sehen Sie diese dunklen Wolken, die sich da im Osten zusammenbrauen? Das bedeutet schlechtes Wetter in Veracruz. Und das heißt, dass es hier schütten wird.”

Miguel war, wie seine aztekischen Vorfahren, vom Regen fasziniert - und er glaubte, ihn beeinflussen zu können. Seine Gespräche mit den Gringos in den “Salinas Residences” drehten sich natürlich um das Wetter und um Wasser. Nach seiner Einschätzung war Veracruz für die meisten Übel von San Miguel Allende verantwortlich.

“Ach, Miguel, mir ist es egal, was wir für ein Wetter haben,” gab ich zu und folgte unwillkürlich dem Blick des Gärtners, der auf den Osten konzentriert war. “Ich mag jedes.”

“Also das ist einfach, wie ihr Gringos denkt.”

“Ja aber, was kannst du gegen Stürme in Veracruz unternehmen?” Ich versuchte, mich auf Carlos Castaneda zu konzentrieren. Aber bei Miguel war es jeden Tag das Gleiche. Schlechtes Wetter, Regen, Veracruz. Schon das Wort el tiempo, Wetter, brachte Miguel auf.

“Señor, Mexiko, das ist kein Paradies. Das ist ein unbeständiges Land, Mexiko. Die heiße Sonne, die verrückten Winde, die spinnenden Vulkane, die sintflutartigen Regen. Wenn man hier lebt, dann kann es einem nicht egal sein. Bei uns ist der Regen nicht vorhersagbar. Nur im Paradies des Regengottes kommen die Regen regelmäßig. Aber hier ist die Natur eine Bedrohung. Eine Katastrophe. Der Regen ist ein Gott. Größer als wir. Er ist eine Religion.”

Der Gärtner rückte seinen Dallas Cowboyhut zurecht. Er zog die Augenbrauen zusammen. Finster blickte er zu Boden und richtete die Mündung des Schlauchs achtlos auf eine Gruppe von Büschen und ein Gewirr von Blumen und Reben zwischen zwei Jacarandabäumen. Unkontrolliert wachsendes Unterholz und Gestrüpp nahmen den einst schönen Garten immer mehr ein. Er schien die chaotische Unordnung gar nicht zu sehen. Je mehr Wasser, desto besser. Er goss selbst bei strömendem Regen, als ob er die Rechnung zwischen ihm und dem Regengott begleichen wollte.

An diesem Vormittag hatte er sich für zwei friedliche Stunden die Zeit damit vertrieben, indem er vor sich hinsummend ein paar Kolibris nass spritzte und gelegentlich nach dem bedrohlichen Osten hinlugte, oder die wenigen Zweige und Blätter im Patio, beim Tor, auf dem Fahrweg, unter den Fenstern und im unbenutzt stehenden Jacuzzi zusammenkehrte. Das waren die Orte, die auch am Tag zuvor gekehrt hatte. Nun brauchte er seine Gießerei nur noch eine weitere Stunde ausdehnen, dann war seine Arbeit für diesen Vormittag getan.

Miguel war ein hübscher Mann. Wie er so zwischen den Büschen stand, seine muskulösen Beine gespreizt, eine kupferbraune Hand mit dicken Venen, welche den Schlauch wie eine Waffe hielt, sein athletischer Nacken bronzefarben in der Morgensonne, seine breiten, etwas abfallenden Schultern betont von einem eng sitzenden himmelblauen T-Shirt, - er sah stark und solide aus. Sein dunkles Haar war dick und kurz geschoren, und er hatte einen dunklen Teint. Die hohen Backenknochen, die er von seinen entfernten eingeborenen Ahnen geerbt hatte, umrahmten seine unergründlichen schwarzen Augen. Er zeigte sein übliches, leichtes Lächeln, das sardonisch und demütig zugleich war.

“Miguel, ich habe über dich nachgedacht.” Mir ging die Selbstgefälligkeit des Gärtners nicht aus dem Sinn, so dass ich Castanedas mystische Gedankengänge nicht weiter verfolgen konnte. “Du bist zu jung und zu stark, um immer nur hier zu stehen und diesen Garten zu gießen.”

Verdad! Das ist wahr, die Señora”, — er meinte die Besitzerin der Villa, deren angestellter Gärtner er war —, “die Señora sagt, ich wäre kein Gärtner, darum habe ich mich entschlossen, Klempner zu lernen. Sie verdienen ganz gut.”

“Heißt das, du machst eine Klempnerlehre?”

Pues no exactamente. Na ja, nicht wirklich. Aber ich schaue dem Klempner zu, wenn er die Toiletten repariert.”

“Aber um Himmels Willen, Miguel! Warum suchst du nicht einen Klempner, für den du gratis arbeitest,— als Lehrling?”

“Oh nein, Señor, meine Frau würde wütend sein. Ich muss etwas verdienen.” Seine Frau, eine Sozialarbeiterin, hatte schon mehr verdient als er. Sie war die treibenden Kraft in ihrer beider Leben. Wegen ihrer neumodischen Ansichten über Verhütung, so hatte Miguel einmal erklärt, hatten sie nur drei Kinder, was Miguel unter den Gleichaltrigen zu einer Ausnahme machte, denn die meisten von ihnen hatten schon sechs, sieben oder gar acht Kinder.

Das seine beiden Arbeitseinsätze als Hilfsarbeiter in Texas hatten ihn auf eine höhere soziale Ebene gehoben als die der Freunde aus seinen Kindertagen. Er prahlte oft, dass diese beiden Abenteuer in Texas sein Leben verändert hätten. Es war das Wagnis. Das Risiko, das reicher Männer nie eingingen. Als er zum ersten Mal in das Wasser des Rio Grande stieg, machte er den den ersten Schritt vorwärts in seiner Selbsterkenntnis und schien neuen Lebensmut erlangt zu haben. Manchmal waren ihm die Zweifel über seine Ansichten von dem, was er früher als seinen Platz in der Welt akzeptiert hatte, direkt in sein dunkelhäutiges Gesicht geschrieben. Auf dem Weg nach Dallas hatte er eine neue Einstellung gegenüber dem abgeschiedenen Leben seiner Mitbürger in San Miguel bekommen.

Und doch war Miguel faul. Und er hatte feste Vorlieben. Er schien die Dinge im Licht dessen zu sehen, was sie vielleicht einmal in einem vorigen Leben gewesen waren, oder was sie in einer künftigen Existenz wieder sein könnten. Aber jeden Tag beschrieb er seine Gegenwart als trostlos und unveränderlich. Und er war großzügig, ja er war sogar froh darüber, dass seine Frau klüger war als er.

Auch wenn er über die Klempnerei redete und dem Klempnermeister dabei zusah, wie er verstopfte Toiletten in Ordnung brachte und die Waschmaschine reparierte, sein Leben ging trotzdem den gleichen alten Trott weiter - vier Tage Arbeit, dann eine Fiesta, von der er sich einen Tag lang erholen musste, bevor er wieder kam, um zu kehren und zu gießen und über Veracruz und das Wetter zu reden.

Man konnte es in seinen Augen lesen, dass er sich in die Sinnlosigkeit seines schwerfälligen Lebens ergeben hatte. Da gab es zwar große Explosionen eines Antriebs, die bei Miguel immer unkontrollierbare Unwetter waren, aber diesen folgten dann Perioden von Schuldgefühlen und Sühne und eben Trägheit.

Die Señora, Maria Teresa Salinas, sagte zu ihren Mietern, dass Miguel absolut gar nichts von Pflanzen verstünde. “Alles, was er will, ist kehren und gießen,” klagte sie, was ja ziemlich wahr war, und sie drohte ständig, dass sie ihn entlassen werde. Ich argwöhnte, sie behielte ihn nur deswegen, weil er ein gute Sündenbock für alle die Übel war, die auf dem Anwesen da waren. An allem war “Miguel schuld.” Wenn das Regenwasser die Regenrinnen verstopfte, dann war es Miguels Nachlässigkeit gewesen. Die einzige Waschmaschine wurde kaputt, und es war natürlich nur, weil Miguel die Wäsche seiner Familie darin gewaschen und den Schalter auf Kochwäsche gestellt hatte. Wasser stand im Mittelpunkt von Miguels Leben.

Und trotzdem machte er so weiter. Er kehrte und goss, lugte in die dunklen Ecken des Gartens und untersuchte den Horizont und sprach mit den Göttern, murmelte seine ominösen Warnungen über nahende Gefahren vor sich hin und hasste die Señora, - auf seine ungeschickte Weise schien er in dem nassen Garten verwurzelt zu sein.

Er schien sich aus seinem Leben nichts zu machen, aber ich vermutete, dass es ihm leid tat, dass er sich nichts daraus machte. Und das, so dachte ich, war seine Rettung. Unglücklicher Weise schien Miguel selten zornig zu werden; für gewöhnlich gelang es ihm, seinen Hass auf die Hausfrau zu verbergen. So wie neulich, als ihn die Señora für ein kleineres Vergehen ausgescholten hatte. Da benahm er sich wie ein Sklave, seine Lippen in ein zittriges, falsches Lächeln gekräuselt, dann zog er sich zum Schmollen in einen Winkel des Gartens zurück und goss ein und die selbe Stelle eine halbe Stunde lang.

Innerhalb des Anwesens ging er sozusagen verstohlen herum, tauschte mit seinen Arbeitskollegen rätselhafte Blicke aus und mit den Gringo Mietern Gemeinplätze über das Wetter. Nur wenn ich ihn an einem Wochenende in den Straßen der Stadt sah, entdeckte ich eine Forschheit in seinem Gang. Aber er war selten arrogant. Doch man konnte sich seine Aggressivität gut vorstellen, wenn er bei einer Fiesta trank, oder wenn er die mexikanische Fußballmannschaft im Fernsehen spielen sah.

Und hübsch wie er war, ging das Gerücht um, dass er der Vater eines vierten Kindes sei, das eines von den unverheirateten Zimmermädchen im Leib trug. Wie hoffnungslos ihm auch sein Leben scheinen mochte, Sex hatt unter Miguels hinterhältigem Himmel immer noch seinen Stellenwert.

“Da ist sie schon,” sagte Miguel mit etwas Gehässigkeit in der Stimme, als er das automatische Gartentor aufgehen hörte. Durch die Büsche hindurch beobachtete er den weißen Mercedes, wie er in die Zufahrt einbog. Ich zuckte zusammen bei dem Geräusch, es klang, als ob die Hausfrau in eine Schubkarre gefahren wäre, die Miguel vermutlich dort gelassen hatte.

Der Gärtner grinste hämisch und spritzte Wasser gerade hinauf in die Luft, als schösse er bei einer Fiesta eine Pistole ab. “Sie glaubt nicht an Wasser,” murmelte er.. “Aber eines Tages wird sie's schon kriegen.”

Wir schauten einander an, als die Hausfrau ihre Hunde rief, den deutschen Schäfer, Mädchen, und Tschechow, den Fox Terrier, und dann zu Marta, ihrem schwangeren Dienstmädchen, sagte, sie könne nach Hause gehen. Schweigend stapfte sie mit den Hunden die Stiegen hinauf und betrat ihre ewig abgedunkelte Wohnung.

Im gleichen Moment huschte das Dienstmädchen Marta schadenfroh grinsend in den Garten und flüsterte Miguel ein paar Worte zu. Er lächelte und warf den Schlauch in ein Blumenbeet, dann begann er, sich auf die Schenkel zu schlagen, während er im Wasser herum tanzte und nach allen Richtungen wie verrückt herum spritzte.

Chingada! Chingada!” sang er, "Schwanger". “Sie ist gefickt worden! La puta hat gekriegt, was sie verdient, die Hure.”

Wie ein Buschfeuer verbreitete sich die Nachricht unter den Mietern, dass der Termin unserer Hausfrau im Rathaus an diesem Vormittag schlecht ausgegangen sei. Das Stadtoberhaupt, das gerade gegenüber dem Anwesen über die enge Straße wohnte, und dessen Frau Maria Teresa verabscheute, hatte Maria Teresa Salinas offiziell darüber informiert, dass der Stadtrat ihr Vorhaben, das “Salinas Opera Theater” zu bauen, einstimmig zurückgewiesen habe.

In den bis Mittag noch verbleibenden Minuten tollte der Gärtner zwischen den Büschen herum und feierte ihre Niederlage mit Tanz, Gesang und Wasser.

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Ich fühlte mich etwas zerknirscht wegen Miguels Ausgelassenheit. So rannte ich die Stiege hinauf zum dritten Stock, wo Maria Teresa wohnte, um nach ihr zu sehen. Ich konnte doch nicht zulassen, dass sie sich umbrachte. Die Türe zu ihrer geräumigen Wohnung stand offen. Im Wohnzimmer war es finster. Mein Finger war schon an der Türklingel, als ich drinnen ihr heiseres Flüstern hörte, “Platz, Mädchen, Platz. ” Durch den Türspalt sah ich eine unförmige Figur in weißen Pyjamas durch einen dünnen Lichtstrahl huschen, der von einer einsamen Tischlampe kam, und wieder in der Dunkelheit des Schlafzimmers verschwinden.

Ich musste grinsen. Das ist so ihre Art. Nur eine Andeutung ihrer selbst, — ein Profil am anderen Ende des Zimmes, eine kurze Rückansicht ihres prallen Hintern, wenn sie an einem auf der Straße vorbei eilte, ein Blick auf eine nicht wirkliche Person. Aber der Rest von ihr, ihre wirkliche Person, erschien regelmäßig später und trat aus dem dramatischen Vorhang ihres Lebens hervor. Wenn sie in einem Zimmer mit anderen zusammen saß, mochte sie abseits im Schatten sitzen. Sie sparte keine Mühe, mysteriös zu erscheinen, bevor sie die Bühne betrat. Ihre außergewöhnliche anfängliche Neigung, sich zurückzuziehen, schien sonderbar bei einer extravaganten Angeberin, die sie doch war.

Ich zögerte. Die anderen Dienstboten waren unten. Lärmend steckte sie die Telefone aus und drehte die Lampe ab. “Komm, Tschechow!” sagte sie zu dem Fox Terrier. “Kommt Jungs, gehen wir wieder ins Bett.” Die Türe schlug krachend zu.

Was geht hier vor? In Pyjamas ins Bett gehen am Nachmittag! Sie hält sich doch nie an die Siesta. Offensichtlich hat sie vergessen, dass sie uns heute Nachmittag zum Tee eingeladen hat. Vielleicht hat es einen Todesfall in ihrer großen Familie im Norden gegeben. Oder es gibt Nachrichten über ihren kranken Gatten. Nachdem Maria Teresa in jedem Aspekt des Gemeinschaftslebens auf dem Anwesen allgegenwärtig war, selten krank, nie entmutigt, schien ihre plötzliche Isolation mehr zu verbergen als nur das Debakel mit der Oper.

“Na ja, da brauchen wir nicht zu ihrem Tee zu gehen,” vertraute ich später Sandra an, die auf mich im Garten wartete. “Ihre Tees sind doch immer eine langweilige Angelegenheit.”

“Vielleicht,” murmelte Sandra, während ein Schimmer von Verwirrung über ihre Augen flog, als sie zur Wohnung unserer Hausfrau im dritten Stock hinaufsah. “Man weiß nie, wie sie auf ihre Niederlagen reagieren wird.”

Wir hatten an das Opernprojekt geglaubt, das uns Maria Teresa in so liebevollen Details beschrieben hatte. Hatte sie denn nicht auch den Tennisclub von San Miguel geplant, finanziert und gebaut, den sie noch immer leitete? Eine grüne Oase in der nahegelegenen staubigen Ebene, wo letztes Jahr die Salinas Open ausgetragen worden waren? Wir hatten auch an das aufgegebene Projekt der Burg geglaubt, —ein Deal für mehrere Millionen Dollars, bei dem ein verlassenes Märchenschloss mit Burggraben, Brücke, zinnengekrönten Mauern und Schießscharten, Türmen und Türmchen in eine Luxusresidenz umgebaut werden sollte. Es lag oberhalb einer Klamm in der Nähe des Querétaro Highway und der Umfahrung von Guanajuato, sie wollte es “Salinas Heights” nennen. Und wir hofften immer noch, sie würde den lang versprochenen Swimmingpool in ihrem und unserem Vorgarten bauen.

“Einen Tag ist sie die liebenswürdigste Person, und am nächsten ein reiner Teufel,” bemerkte ich.

“Es ist ihr unschuldiges Lächeln, das einen dran kriegt. Sie setzt es wie eine Maske auf. Sie kann so charmant sein, dass man sich wie ein Undankbarer fühlt, wenn man sich über ihre Launen aufregt. Die alte kanadische Dame im Hinterhaus sagt, sie sei ein Dämon.”

“Miguel sagt, sie ist eine Hexe. Ich glaube, er ruft seine Götter an, sie zu vernichten.”

“Das ist gemein! Ich glaube immer noch, dass sie einfach einsam ist,” sagte Sandra. “Ihr Mann ist krank in den Staaten, —und sie hat keine Freunde hier.”

“Da ist sie selber schuld.”

Nach neun Monaten als Mieter im Gartenhaus gleich neben unserer Hausfrau hatte ich gemischte Gefühle ihr gegenüber. Wie alle anderen kritisierte ich ihre Manie, was Geld anbetrifft, aber ich verteidigte sie gegen die giftigen Angriffe von ihren langjährigen Mietern, die uns gewarnt hatten: “Warten Sie nur, bis Sie sie kennen lernen!”

Umso überraschter war ich nach der Siesta, als ich Maria Teresas Nachricht, wie üblich nach Parfüm durftend, unter der Tür vorfand: —“Liebe Sandra und Peter Fleming, vergeben Sie mir, dass ich den Tee für diesen Nachmittag nicht bestätigt habe. Ich hoffe, Sie werden sich dennoch etwa um 5 Uhr zu mir gesellen auf meinem Balkon. Mit Hochachtung und Zuneigung, Ihre Mary”

Ich rief unsere Hausfrau etwas boshaft bei ihrem richtigen Namen, “Maria Teresa.” Aber sie nannte sich “Mary” und wollte auch, dass andere sie so anredeten. M-A-R-Y, so sagte sie, stehe für “Modest (bescheiden), Assiduous (gewissenhaft), Resolute (resolut), Yankee.” Mary war vor Jahren in San Miguel wie ein Wirbelwind aufgetaucht, als sie nach dem Tod ihrer neunzigjährigen Mutter eine Reihe von Häusern und Wohnungen im Los Balcones Viertel auf dem Hügel geerbt hatte. Sie war ein Manager und musste etwas managen.

Aber sie bestand darauf, dass sie San Miguel hasse.

Eines Tages, so hatte sie sich geschworen, würde sie alles verkaufen und in die Vereinigten Staaten zurückkehren, wo sie “mit Leib und Seele hingehöre. ”

Mary hatte ihr ganzes Leben eine Amerikanerin sein wollen. Ihr zweiter amerikanischer Gatte, Robert Morgan, war ein reicher Mann, viel älter als sie, der wegen seiner schlechten Gesundheit die meiste Zeit in Florida verbrachte. Sie besaß einen amerikanischen Pass und träumte davon, eines Tages "nach Hause zurück zu kehren", entweder nach Florida oder nach Kalifornien, wo eines ihrer Häuser auf sie wartete. Mary hatte ihr Haar blond gefärbt, sie ließ sich in Lockenwicklern auf ihrem Balkon sehen, feierte den vierten Juli, besuchte die amerikanische Episkopalkirche und fuhr oft nach Florida. Mit ihren Hunden redete sie Englisch. Sie redete auch mit ihren mexikanischen Nichten und Neffen und mit ihren Halbblut Arbeitern Englisch und ließ dann geflüsterte Übersetzungen davon folgen. Ihre Muttersprache, Spanisch, sprach sie nur ungern und mit der Betonung und dem nachgemachten Akzent einer Amerikanerin.

Nichtsdestoweniger wussten die einheimischen Mexikaner in den Hintergassen der Altstadt doch um ihre Herkunft. Und zu ihrem Ärger bestanden sie darauf, sie als Mexikanerin anzusehen und nannten sie Maria Teresa. Aber weil sie sehr reich war, und die Einheimischen nicht wussten, was sie aus ihr machen sollten, verachteten sie sie einfach.

Ich fragte mich, “Warum nur besteht sie auf den Tee, — nach diesen schlechten Neuigkeiten?” “Vielleicht will sie uns wieder die Miete erhöhen. Irgendetwas will sie, wenn sie so nett ist.”

“Peter, du bist zu hart mit ihr. Vielleicht hat sie den Tisch, um den ich sie gebeten habe. Oder es tut ihr wieder der Magen weh.”

“Oder sie hat die Wohnung über uns an eine Familie mit fünf Kindern vermietet!”

Ich denke, dass sie einfach einsam ist, das ist es.”

“Na gut, die Mexikaner sagen, dass sie knausrig ist und ihre Arbeiter schlecht behandelt. Ist das Einsamkeit? Wenn ich sehe, wie sie die draußen in der heißen Sonne warten lässt am Zahltag, während sie oben die paar Pesos für José und Javier, Miguel und Luis abzählt, na, da möchte ich ihr am liebsten eine Bombe in ihr Sprudelbad werfen.”

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Im Kielwasser einer ruhelosen Nachmittagssonne, die über den Himmel des Hochlands wanderte, verschob ich ständig den Tisch und die Metallsessel entlang ihres engen Balkons. Nach den Nettigkeiten des Tees und ein paar großzügigen Gläsern Tequila fragte ich sie, wie es mit dem neuen Haus im rückwärtigen Teil des Anwesens voranginge.

“Oh, es sollte längst schon fertig sein, — wenn ich nur ein paar gute Arbeiter hätte.”

“Aber ich sehe sie immer frühmorgens da draußen.”

“Schon, aber sie sind so faul. Alle. Mexikaner sind eben so.” Maria Teresa seufzte, blickte zu Boden und kraulte Tschechow am Nacken. “Sie haben einfach keine Initiative. Sie sind blöd. Wenn dann irgendetwas schief geht, weiß niemand von etwas. Sie kennen einfach ihren Platz nicht.”

“Ihren Platz?” fragte Sandra unschuldig.

“Wie Sie wissen, bin ich nicht rassistisch. Aber wir sind Weiße, und sie — sie eben nicht. Sie sind anders.”

“Anders?” warf ich ein.

“Ich glaube, Sie wissen, was ich meine. Nicht nur faul, sondern auch Lügner. Und fast alle sind sie Diebe. Sie stehlen mich noch arm. Die stehlen alles, was man unbewacht lässt. Ich beschwöre Sie, bitte lassen Sie Ihr Haus nicht unversperrt, wenn Sie ausgehen. Und lassen Sie nie ein Dienstmädchen alleine.”

“Aber haben Sie nicht eine Inventarliste von Ihren Sachen?” Sie war von der Art, dass sie genaue Listen über jeden einzelnen Nagel in ihren Häusern hatte.

In ihren dunklen Augen blitzte kurz Zorn auf wie ein Schatten, bevor ein verschlagenes Glitzern ihre Pupillen füllte. “Natürlich! Sie ist hier, in meinem Kopf. Das ist eine lange Liste. Ich weiß alles, was ich habe.”

Ich streichelte Mädchens dickes Fell. Sandra starrte hinunter auf die Türe unseres und ihres Hauses nebenan, die sperrangelweit offen stand. Mary seufzte und sah uns mit ihren großen, unschuldsvollen Augen an, ein kleines Lächeln an den Winkeln ihrer dünnen Lippen.

“Die Welt ist unvorhersehbar,” sagte sie sanft, und in ihrer Stimme schwang eine Mischung aus Nostalgie und Vergeltung. Nie hatte sie mehr mexikanisch ausgesehen. “Sie ist voll mit Schicksalswechseln. Seltsamem Verrat. Man weiß nie, was hinter der nächsten Ecke ist. Man muss bereit sein.”

“Na ja, Sie haben wohl ein gutes und interessantes Leben,” sagte ich, um die Konversation von Dieben und Verrat abzulenken.

“Oh ja ... Ich habe gute Zeiten erlebt, als ich noch jung war. Stellen Sie sich vor, jung und reich in Paris in den sechziger Jahren! Und jetzt das! Nur mehr eine Vermieterin in Mexiko, — ausgerechnet da. Was für ein verachtenswertes Land.”

Mutig gemacht von der Tequila betrachtete ich offen ihr Gesicht. Sie war überraschend anmutig gealtert. Außer dass sie etwas Übergewicht hatte und gelegentlich eine Magenverstimmung vom Wasser, war sie bei guter Gesundheit. “Warum gehen Sie dann nicht weg? Sie können doch alles tun, was Sie wollen. Sind Sie nicht steinreich?”

Sie lächelte selbstgefällig, senkte die Augen und sagte höchst sittsam, “Mir geht es gut. Aber ich habe hier viel Arbeit. Sie sehen ja selber, wie früh ich jeden Tag schon bei der Arbeit bin.”

Es war wahr. Jeden Morgen, wenn ich die Sonne über den roten Ziegeldächern von San Miguel und über dem Gelb und Grün der Villas auf dem Hügel aufgehen sah, war sie auf der Baustelle gerade jenseits des Patio, regelmäßig und pünktlich. Sie überwachte persönlich den Bau all ihrer Häuser, so wie sie das auch beim Opernhaus tun gewollt hatte.

“Ich wache jeden Tag um fünf auf,” sagte sie, um ihre spartanische Natur zu erklären. “Zu spät, um noch einmal einzuschlafen, aber zu früh zum Aufstehen. So bleibe ich eben im Bett ... und denke nach.”

Mir kam der Gedanke, dass ihre Besessenheit nach Geld und Gut der Grund ihrer Schlaflosigkeit sei. Was tat sie nun wirklich in diesen Stunden? Ich schloss, dass die Antwort zu ihrer belagerten Persönlichkeit wohl in den kleinen morgendlichen Notizen lag, die sie unter die Türen ihrer Mieter schob. “Da sie auf ausschließlicher Benutzung des automatischen Gartentores bestehen,” hatte sie mir vor ein paar Monaten geschrieben, “muss ich Sie um zusätzliche $17.50 pro Monat bitten, rückwirkend zum Beginn ihres Jahresvertrages. Wollen Sie diese bitte einschließen und ihren nächsten Scheck auf $ 175.00 ausstellen.” Oder ein andermal: “Da Sie ein privates Telefon wünschen, muss ich Ihre Miete um $22.00 erhöhen.”

Der Geruch von Geld störte ihren Schlaf. Ich stellte sie mir in ihrem Bett vor, umgeben vom totalen Chaos ihrer Wohnung, Mädchen und Tschechow und die beiden Katzen auf dem unteren Teil ihres überdimensionierten Bettes, wie sie Tagträumen nachhing von Wegen, die Mieten zu erhöhen. Mieten weckten sie auf. Mieten verfolgten sie. Und wenn dann ihre Psyche den Punkt erreichte, wo sie überfloss, sprang sie vom Bett auf und begann wütend Mietenbriefe zu schreiben auf ihrem geblumten, parfümierten Briefpapier.

Mit der Zeit hatte ich etwas konstruiert, was ich für ein großzügiges Bild von Maria Teresa Salinas, alias Mary, hielt, - ein Bild auf der Grundlage ihrer eigenen Worte, zusammengefassten Tratsches und einem großen Berg von Annahmen. Ein paar Wochen vorher hatte sie uns bei einem enthüllenden Treffen zum Tee erzählt, wie sie als kleines Mädchen in Saltillo, als viertes von sechs Kindern, immer ihre eigenen Spielzeuge, ihre eigenen Kleider, ja sogar ihr eigenes kleines Pferd gewünscht hatte, separat von den Dingen der anderen Kinder.

“Ich wollte meine Sachen für mich selber,” sagte sie mit Stolz in der Stimme. Sie hatte eine Art, über persönliche Züge offen zu reden, welche die meisten Leute verbergen, sogar vor sich selbst. “Was mein war, war mein. Sie wissen, was ich meine?”

“Marys egozentrisches Wesen wurde raffend und habgierig,”—so hatte ich in mein Tagebuch geschrieben—, “als sie mit 13 das fette Vieh auf den gewaltigen Weiden der Texas Ranches in der Nähe von Devine sah, wo sie bei einem Onkel lebte, um amerikanische Schulen zu besuchen. Diese fetten Stiere haben in ihr irgendetwas aufgewühlt. Alles in Texas schien ihr besser als das Mexiko ihrer Familie. Ihre Besitzgier wurde zur Besessenheit auf der exklusiven Mädchenschule in Vermont, wo die Yankee Mädchen ihre Freude daran hatten, dem unterentwickelten mexikanischen Mädchen, das ein seltsames Tex-Mex Englisch sprach, ihren Reichtum vorzuführen.”

Sie hatte nicht den Mut, diesen Mädchen zu erzählen, dass ihre Familie reicher war als jede der ihren. Mit 15, sagte sie, waren ihr die Dinge der anderen begehrenswerter erschienen.

“Die Zeit verging,” so liest sich mein Tagebuch weiter, “und in dem Maß, als sich ihr Wissen über die Welt verbreiterte und Mexiko ihr rückständig erschien, wurde ihre Habgier vollkommen. Sie konnte nie genug besitzen. Sie musste einfach mehr haben, als all die anderen Mädchen. Sie musste auch die Größte sein. Als Erwachsene wollte sie nicht nur Dinge haben, sondern Erfolge, Ehren, Anerkennung.”

Wenn man Maria Teresa so erzählen hörte, dann gab es nichts, was sie nicht schon gemacht hätte. Und besser gemacht hätte als andere und mehr davon. Wenn jemand Deutschland erwähnte, dann erzählte sie, dass sie ihr erstes Doktorat an der Universität München erworben habe, — sie sagte dann “Platz!” zu Mädchen, um das zu beweisen. Wenn das Gespräch auf Frankreich kam, hatte sie an der Universität Montpelier Literatur gelehrt, und sie sagte oft “enchantée” und beliebte, einen ihrer Mieter als Monsieur André vorzustellen. Sie hatte Villen in Italien, natürlich in der Toskana, und begrüßte fast jeden am Morgen mit einem lauten buon giorno.

In ihrer Phantasie war sie allwissend und ewig. Zuerst waren wir amüsiert über das Hirschfeld Porträt von ihr, das im Korridor unseres Hauses hing, dann waren wir berührt davon.

Als sich das Balkongespräch etwas entspannte und die beflügelnde Wirkung der Tequila zu verfliegen begann, brachte ich das Thema auf das Opernhaus. Von wo wir saßen konnte ich auf das Gelände in der Stadt hinsehen, das in der Nähe des alten Hotels und des Museums lag. Ein großartiges Projekt und ihres Organisationstalents wert.

Maria Teresa zuckte die Achseln, nahm noch einen Schluck Wasser, das für ihre Abnehmkur die Hauptsache war, und blickte nachdenklich zu Tschechow hinab.

Nach einem Moment Schweigen hob sie ihre schwarzen Augen, lächelte ernst, und fragte, ob wir die Grundfesten und Umfassungsmauern auf dem Grundstück bemerkt hätten, das zwei Blöcke vom Anwesen entfernt lag. Viele Leute hatten lang schon ein Auge auf das Grundstück geworfen, das die ganze Stadt überblickte, den See und die fernen Berge der Sierra Morena.

“Ich habe das ganze Ding gekauft und werde da das aufwendigste Wohnhaus in San Miguel bauen,” sagte sie und blickte triumphierend von Sandra zu mir.

“Also!” sagte ich.

“Wirklich!” said Sandra.

Wir konnten es nicht verhehlen. Wir glaubten an sie. Trotz meines Spottes und Sandras eingefleischten Skeptizismus und trotz aller Ermahnungen der Nachbarn und des Stadtklatsches, wir glaubten immer noch an sie.

“Ich habe den berühmtesten Architekten von Mexico City, Raúl Jorge Respighi, für die Planung engagiert. Und für die Gärten habe ich einen Landschaftsarchitekten aus Florenz bestellt. Ich werde natürlich die Ausführung des Baus persönlich überwachen.”

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Nächsten Morgen, während Miguel kehrte und den Himmel im Osten musterte, ich saß gerade am Tisch im Patio und las, und die Kolibris schossen herum und die Jacaranda Bäume hatten nie so rot ausgesehen, ein wunderbarer Glanz erleuchtete den Garten, da sagte Miguel unvermittelt, “Sabe Señor, la vida no es un jardín de flores.- Wissen Sie, Señor, das Leben ist kein Blumengarten.”

Ich starrte ihn an und wartete. Waren seine philosophischen Worte eine Entschuldigung für den Zustand seines Gartens? Oder wollte er über den Mangel an Sinn in seinem Leben reden?

Seine melancholischen Augen fest auf die Steine geheftet, sagte Miguel, “sie ist nicht christlich.” An diesem Morgen hatte die Hausfrau, die immer in die Kirche ging, ihm eine weitere Warnung erteilt und gedroht, ihm einen Tageslohn abzuziehen. “Sie hasst unser Land, und sie weiß nicht, was Barmherzigkeit bedeutet.”

“Ich glaube nicht, dass du ihre Barmherzigkeit brauchst, sondern Gerechtigkeit,” sagte ich etwas lahm.

Der Gärtner hob seine Augen, in denen etwas Sarkasmus aufflackerte, und wiederholte, “Gerechtigkeit!” und dann, “Verdad. Wirklich.” Hatte er über diese Frage nie nachgedacht? Miguel entgingen viele Dinge. Die Flora und Fauna langweilten ihn. Ein Rosenbusch, der durch Vernachlässigung einging, berührte ihn nicht. Er war den bunten Vögeln im Garten gegenüber ebenso gleichgültig wie gegenüber einem feinen Stuhl im Patio, der von seinem Schubkarren kaputt gemacht worden war. Viehisch, wie er war, schienen ihm die Sensibilitäten der Lateinamerikaner abzugehen. Vielleicht wegen der Abgestumpftheit vieler sehr Armer schien er solche Dinge nicht zu fühlen. Er akzeptierte das Hässliche wie das Schöne als Teil des Lebens, und vielleicht war es wegen seiner noch immer unausgegorenen inneren Rebellion, dass von Zeit zu Zeit in ihm ein destruktiver Instikt erwachte.

Am nächsten Morgen, als es Zeit war, zu kehren und zu gießen, war der Gärtner nirgends zu sehen. Was sollte mit dem Garten werden? fragte ich mich. Sollte ich gießen? Ich suchte die Plätze ab, wo sich Miguel manchmal versteckte, um zu rauchen oder auch bloß um auszurasten, - die Toilette, die leere Wohnung im Obergeschoß und die Gänge und Innenhöfe des Labyrinths von Häusern und Wohnungen, aus denen Salinas Residences bestand. Nichts.

Ich war schon daran, aufzugeben, als ich irgendetwas oberhalb von mir bemerkte. Ich sah auf und starrte auf die unbewegliche Silhouette, die auf dem Sims im zweiten Stock auf der Baustelle von Marys neuem Haus stand. Ich tat einen Schritt zurück und schirmte meine Augen gegen die Vormittagssonne ab. Es war Miguel. Sein Blick war nach Osten gerichtet. Seine Lippen bewegten sich. Er betete ... oder sang eine Litanei.

Hola, Miguel! Was machst du da oben? Was geht hier vor?”

Miguel unterbrach seinen Gesang und blickte mit einem verschlagenen Grinsen herunter. “Ich arbeite nicht mehr hier. Die Señora hat mich rausgeschmissen. Sie sagte, wenn ich dieses Hemd nicht ausziehe, bin ich draußen.” Er zupfte an seinem hellblauen T-Shirt und lehnte sich vor, so dass ich die Worte auf der Brust lesen konntet: PRD, die Initialen der linksgerichteten Revolutionären Demokratischen Partei, — ein Affront und eine Herausforderung an die Wohlhabenden im hyperkonservativen San Miguel.

Miguel lächelte stolz, also ob das Hemd ein Symbol dafür wäre, dass die Dinge nicht mehr das Gleiche wie tags zuvor seien. “Ich ziehe es nicht aus!” schrie er in die Richtung der Wohnung von Maria Teresa.

Viva Mexico!” schrie er, als würde er die mexikanische Fußballnationalmannschaft anfeuern.

Rebellion war ihm ins Gesicht geschrieben. Rebellion gegen irgend etwas Undefiniertes, aber Böses. Rebellion, wenn schon nicht gegen das System, dann gegen seine Vergangenheit, gegen seine Gegenwart, gegen das, was er immer gewesen war. Er wollte zumindest Obszönitäten hinausschreien, wie er es bei der Fiesta tat. Er wollte die Sachen der Señora zerbrechen, ihre Sachen stehlen und ihr weh tun. Er war sich nicht sicher, was genau er tun wollte. Seine eigene Ignoranz schien ihn zu verwirren.

In diesem Moment, wo er auf dem Sims stand, hin und her gerissen zwischen Gebet und Revolution, schien er vom Leben geblendet. Kann sein, dass es auch nur die Sonne war. Die blendende Sonne über den Wolkenkratzern von Dallas, wo er einmal gearbeitet hatte. Es waren die blitzenden Sonnenstrahlen, die vom Beton und den Bäumen reflektiert wurden, und die warmen Winde und die Regen der Hochebene. Die Sackgasse, die sein Leben war, machte ihn irre.

Es war auch der Regengott Tlaloc, dachte ich, und die Bedrohung durch das Wasser.

Ich fühlte mich schuldig, dass ich bei unseren morgendlichen Gesprächen Miguel in seiner privaten Rebellion bestärkt hatte. Als ob ich ihn am Rand des Abgrunds aus dem Gleichgewicht gebracht hätte, wo seine Füße den Halt auf dem zerbröckelnden Boden verloren.

Suavecito! Nun mal langsam. Beherrsch dich.”

“Ich will mich nicht beherrschen,” schrie Miguel und lehnte sich gefährlich nach vorne. Sein Gesicht war hochrot. Er nahm einen Eimer auf, der neben ihm stand, und goss Wasser in einem hohem Bogen aus, der weiß glitzerte und in der Luft schweben zu bleiben schien. “Ich will es nicht. Sie selber soll sich beherrschen. Sie, Señor, beherrschen Sie sich.”

Ich hatte diesen Ausdruck der Augen schon früher gesehen. Ich hatte ihn in den dunklen, ironischen Gesichtern von feiernden Bauarbeiten gesehen, besoffen wie die Herren am "Revolutionstag". Ich hatte ihn in den Gesichtern von Straßenverkäufern gesehen, wenn Ausländer stundenlang um zwei Pesos feilschten. Ich hatte ihn in den Gesichtern von Taxifahrern gesehen, wenn Gringos sich weigerten, doppelt so viel zu zahlen für die Fahrt, als es Mexikaner mussten. Wie sie lehnte Miguel das Konzept der Selbstbeherrschung ab. Er lehnte die Meisterung seiner selbst und ein geordnetes Leben ab. Sein Kampf war der ewige Streit in diesem Teil der Welt, - der Kampf zwischen der reichen weißen Minderheit und den vielfarbigen Massen der Habenichtse.

Er konnte die Dinge nicht ändern, das akzeptierte er. Aber wie jeder Bauer auf der Fiesta wollte Miguel das Chaos. Chaos im Leben wie das Chaos in seinem Garten.

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Als die Wochen zu Monaten wurden und die Winde des Wechsels über den Bajío wehten, nahm das große Wohnhaus Gestalt an. Jeden Morgen marschierte Maria Teresa, begleitet von Mädchen und Tschechow, nach der Inspektion des neuen Gartenhauses los zu dem wachsenden Gebäude. Vorüberkommende konnten ihre Figur in Weiß an den Fensteröffnungen des zweiten Stocks vorbeihuschen sehen, oder die Betonrampen auf und ab laufen, die das große Treppenhaus bilden würden.

Eines Morgens rannte ich ihr nach und bat sie, mir die Baustelle zu zeigen. “Es ist mir ein Stolz und eine Ehre,” antwortete sie. “Kommen Sie nur mit, und Sie werden alles sehen.”

Sie führte mich zuerst die im Entstehen begriffenen Stiegenfluchten zu den Kellergeschossen hinab. “Das sieht man von der Straße aus nicht. Hier habe ich eine Gruppe von sieben Arbeiten, die sich nur mit den Kellern befassen,” erklärte sie, während wir in einen großen offenen Raum mit hohen Decken hinein traten.

“Groß genug für Kegelbahnen,” sagte sie.

“Oder Hallenfußball.”

“Hier in dieser Ecke plane ich einen Spielraum, wissen Sie, Billiardtische, Tischtennis, Federball, oder vielleicht Minigolf.”

“Warum nicht!”

“Da drüben werde ich eine Bayrische Stube bauen, eine Replik von einer, die ich in einem Restaurant in München kannte. Und in diesem anderen Eckraum da wird ein kompletter Fitnessraum sein, - mit Sauna natürlich.”

Por supuesto, anzunehmen.”

“Dort im hinteren Teil plane ich eine Garage für sechs Autos, das würde wohl reichen, besonders bei den heutigen Autopreisen.”

“Die sind wirklich haarsträubend.”

“Und entlang der Vorderseite, da wo Sie die Linien am Boden gezeichnet sehen, werde ich acht Speicherräume einbauen mit einem privaten Seiteneingang, die ich an Amerikaner vermieten werde, damit sie ihre Sachen aufbewahren können, wenn sie den Sommer in den Staaten verbringen. Nicht alle können sich leisten, zwei Wohnungen aufrecht zu erhalten!”

“Das würde bei vielen von uns der Fall sein.”

“Wenn Sie nun hier heraussteigen auf die untere Veranda,” sagte sie und ging voran zu einer der hinteren Öffnungen, die hinunterblickten auf das vielfarbige San Miguel. “Das ist eine Gruppe von, - also ich weiß nicht genau wie viele, kann sein zehn Männern, die bauen eine Steinmauer rund um die unteren Gärten und gestalten die Zufahrtsstraße, die den Hügel hinauf zu den Parkplätzen und Garagen führen wird. Die Straße wird von Zypressen gesäumt sein. Natürlich aus der Toskana importiert.”

“Natürlich.”

“An einem anderen Tag werde ich Ihnen die Obergeschosse und die Gästezimmer zeigen und die Abteilung für ein Arbeitszimmer und eine Bibliothek. Es ist einfach atemberaubend.... Aber jetzt, mein lieber Junge, muss ich an die Arbeit gehen.”

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Trotz seiner stillen Wut zog Miguel das rebellische T-Shirt aus und wurde nicht gefeuert. Statt dessen wurde er degradiert und von der leichten Gartenarbeit zu den Bauarbeitern der Hausfrau versetzt. Gelegentlich kam er in den Garten, füllte sich eine Flasche Wasser vom Hahn an der Mauer ab und bat mich um ein paar Tropfen Desinfektionsmittel. Von Zeit zu Zeit sah ich ihn mit dem einen oder anderen Dienstmädchen reden und lachen.

Oft stand er in diesen Tagen unbeweglich auf einem Gerüst und lugte nach Osten, und ich wusste dann, er betete um Regen.

Am Nachmittag des ersten großen Regens der Jahreszeit, — den Miguel an diesem Morgen vorhergesagt hatte —, fand ich das Innere meines Autos überflutet mit 30 cm hohem Wasser. Irgendwie überraschte mich das nicht. Miguel rannte strahlend in den Garten und schrie, “Ich habe es ja gesagt, ich habe es ja gesagt” und begann es auszuschöpfen wie aus einem lecken Rettungsboot.

An den folgenden Tagen, während sich regelmäßig Sturmwolken zusammenzogen und leichter Regen fiel, wurde das Auto weiter ausgeschöpft. Um die Mittagszeit und am Spätnachmittag kam ein festlich gestimmer Miguel zu helfen. Er benahm sich, als ob es sein Werk gewesen wäre. Seines und das seiner Götter. Je mehr wir ausschöpften, desto mehr Wasser kam wie auf magische Weise zu Tage und desto mehr feierte Miguel.

“Geh, schau dir's an! Geh und schau dir ihr Haus an!” schrie er. “Geh und schau es dir heute an.”

Tatsächlich waren Sandra und ich beunruhigt darüber, dass der hektische Arbeitsrhytmus am Wohnhaus sich verlangsamt hatte. Wir waren enttäuscht über die Tage, an denen es zu nass zum Arbeiten war. Die Seen von Wasser, die sich in ihren Kellern gebildet hatten und bei den Grabungsarbeiten für die italienischen Gärten waren eine persönliche Beleidigung. Unsere Begeisterung sank noch weiter, als wir nur drei oder vier Arbeiter auf der Baustelle zählten.

Doch Maria Teresas Beständigkeit war beruhigend. Sie lief immer noch hin und her entlang der Gerüste und der mit Planken belegten Gehwege und auf und ab in dem großen Stiegenhaus.

An einem Spätnachmittag nach einem schweren Regenguss bemerkte ich mit Schrecken, dass das untere Eingangstor und ein Teil der anschließenden Steinmauer nach hinten zu rutschen begonnen hatten. Aber am nächsten Morgen war Maria Teresa da in gelben Gummistiefeln und rannte unter der Gartenmannschaft herum, die wieder in voller Stärke da war. Bedrängte Männer gossen Zement in die klaffenden Löcher rund um das Tor. Pumpen förderten Ströme von schwarzem Matsch aus den gewaltigen Zickzackrissen in der Erde und gossen sie über die wacklige Mauer und auf die gepflasterte Straße weiter unten. Die Erde, auf welcher der Rohbau des Hauses stand, rutschte nach und nach bergab.

Die Zeiten waren kritisch. Der Regen war zum Angriff übergegangen. Miguel sang und betete oft.

Sandra und ich pendelten zwischen unserem Garten und dem Wohnhaus.

Und Marta sagte oft, dass ihre Herrin krank sei von ihrem Magenleiden.

Erst wenn es dunkel wurde, hörten wir manchmal ihre Stimme rufen, “Mädchen, komm her!” Oder, “Tschechow, wo bist du?” bevor sich ihre Türe schloss und die Vorhänge in ihrem Schlafzimmer vorgezogen wurden.

An dem schicksalhaften Freitagmorgen suchte ich instinktiv nach Miguel. Ich wusste nicht, warum, aber ich musste ihn sehen. Ich fing an, den rebellischen Gärtner für die katastrophale Wendung der Ereignisse für verantwortlich zu halten. Ihn und Tlaloc, seinen verrückten Gott. Maria Teresa ließ Miguel nicht mehr an die Baustelle des Wohnhauses. Und am Gartenhaus waren alle Arbeiten eingestellt worden. Der Tennisclub war geschlossen. Miguels Liebling, Marta, kehrte ruhig die Auffahrt.

Aber wo war Miguel? Verwirrt lugte ich in das Labyrinth von Fußwegen rund um das Gartenhaus, als ich mich erinnerte, - und hinauf sah.

Da war er, auf dem selben Sims, nach Osten gerichtet, seine geöffneten Hände erhoben wie ein Priester. Er sprach zum Himmel hinauf. Ich starrte hinauf und horchte zu. Einige Worte seiner feierlichen Anrufungen konnte ich verstehen. “Oh grande Tlaloc ... La tierra oh Tlaloc ... Aqua para la tierra. Oh Tlaloc ayudame ayudame oh Tlaloc ... Lluvia. Lluvia. Lluvia. Océanos de lluvia... oh gracias, gracias oh Tlaloc ... Aqua. - Oh großer Tlaloc ... die Erde, o Tlaloc ... Wasser für die Erde. O Tlaloc, hilf mir, hilf mir, o Tlaloc ... regne, regne, regne."

An diesem Tag blitzten viel früher als gewöhnlich Blitze auf über den sich verdunkelndem Himmel des Bajío. Salven von Donner rollten über die Hochebene. Gnadenlos blies der Nordwind. Der Tag verwandelte sich in stockdunkle Nacht. Und dann, Gott, wie es dann regnete! Die Leute sagten, es sei der ärgste Regen seit Menschengedenken gewesen. Sie sagten, das Wasser sei die Hügel hinaufgeflossen. Das Wasser drang in die Häuser und Gärten der “Salinas Residences” ein. San Miguel stand unter Wasser. Es gab keinen Strom mehr.

Am Spätnachmittag, während wir das Wasser aus unserem Haus fegten, waren unsere Gedanken bei dem Wohnhaus. Hatte es dem Sturm standgehalten? Und wo war Maria Teresa? In ihrer Wohnung gab es kein Zeichen von Leben. Mädchen hatte in der Dunkelheit nicht ein einziges Mal gebellt. Sogar als der Strom wieder kam und wir die Kerzen ausbliesen, blieb Maria Teresas Wohnung dunkel, finster und still.

Wir nahmen unseren Mut zusammen und kämpften uns durch den Matsch durch zur Baustelle. Wie beklommen wir auch waren und was wir auch für Vorahnungen hatten, wir hätten uns kein traurigeres Schauspiel vorstellen können. Der gesamte Nordflügel des einst wachsenden Wohnhauses, die der Straße zugewandte Außenwand, das Ziegeldach des Herrschaftsschlafzimmers und das Rahmenwerk eines langen Balkons im zweiten Stock waren niedergekracht auf die plattengepflasterten Terrassen. Bretter, Eisenstäbe und Kabel vom Gerüst und den Plankenwegen ragten seltsam aus den Haufen von zerschmettertem Stein und Beton heraus. Das große Treppenhaus hing frei in der Luft, immer noch gehalten von den stehen gebliebenen Teilen des mittleren Teils des zweiten Obergeschosses, während der Boden, der es gestützt hatte, in den Keller gestürzt war. Der Fitnessraum, das Spielzimmer, die Bayrische Stube, die Garagen und Speicherräume, alles in schwarzen Schlamm gehüllt, all das kroch den Hügel hinunter in einer scheußlichen Masse wie eine gewaltige Welle aus schwarzer Lava. Die Erdschichte unter dem Keller war komplett weggespült worden.

Entsetzt gingen wir um das Wohnhaus herum zum unteren Eingang. Er existierte nicht mehr. Lastwägen und Jeeps waren überall rundum geparkt und aufgeregte Feuerwehrleute und Bauingenieure rannten hilflos herum.

Das große Tor und sein hoher Bogen und die lange Steinmauer waren unter dem Ansturm des Wassers zerbrochen und eingestürzt und die Eisenstücke und Steine und Betonbrocken hatten sich entlang der Straße den Hügel hinab verteilt in Richtung auf die Stadtmitte von San Miguel. Schwarzes Wasser, Schlamm und verschiedene Baumaterialien rutschten noch immer in die Gullys, wo die zypressenbestandene Auffahrt hätte entstehen sollen.

Wir waren erschüttert und unser erster Gedanke war, Maria Teresa unsere Beileid auszudrücken. Aber ihre Wohnung war noch immer dunkel. Auf unser Klopfen gab es keine Antwort. Als nach ein paar Stunden die Telefonverbindung wieder hergestellt war, hob in der dunklen Wohnung der Hausfrau niemand ab.

Auch am nächsten Tag war es das gleiche. Das Wasser ging an allen Fronten zurück, aber die Zerstörung war total. Und von Maria Teresa oder Mädchen oder Tschechow gab es kein Lebenszeichen. An den folgenden Tagen saß Marta auf dem äußeren Vorbau und wartete. Die Gruppen von Bauarbeitern lungerten auf der Straße herum und warteten auf Anweisungen. Es war, als hätte der Sturm und der Erdrutsch die Hausfrau und ihre Hunde einfach verschlungen.

Tage später schien die Ankunft von Maria Teresas Neffen aus Monterrey noch mehr schlechte Nachrichten ahnen zu lassen. Der junge Javier öffnete ihre Wohnung und begann, die Mieten einzutreiben.

Eine Woche später verkündete ein Rundschreiben, das in Maria Teresas blumigem Englisch geschrieben und an alle Mieter adressiert war, dass "Mary" nicht mehr zurückkommen werde. Javier würde “hinfort”, — ein Wort, das Mary immer gern verwendet hatte —, die mexikanischen Besitzungen seiner Tante verwalten.

Javier ließ wissen, dass Marys Gatte gestorben war und dass sie selbst wegen einer schweren Amöbeninfektion in einer Klinik in West Palm Beach behandelt wurde.

Innerhalb weniger Wochen nach der Überschwemmung kam das prächtige Wetter wieder. Miguel wurde von seinem neuen Freund, dem Lebemann Javier, als offizieller Gärtner wieder eingesetzt. Javier verbrachte seine Nächte in Diskotheken und den Morgen im Bett und wollte keine Arbeitsprobleme irgendwelcher Art.

Miguel kehrte und goss wie früher und regierte fürstlich über die feiernde Dienerschaft. Und von Zeit zu Zeit pflegte der Gärtner philosophisch zu seufzen, nach Osten zu blicken und mich daran zu erinnern, dass la puta eben einfach das Wasser nicht vertragen habe.

Gaither Stewart GaitherStewart@libero.it