Das Neue Babel

Von Leonard Schwartz

August 2002

       

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Babel - das ist natürlich der Einsturz eines Turms, gefolgt von einer gewaltigen, manipulierten Konfusion der Worte und Wörter.

'Babbeln' ist der Beginn der Sprache, bevor sie zur Sprache wird, solange sie noch ein Lied ist.

Da Babel beides ist, Ground und Zero, Mittelenglisch grund und Arabisch zefir, cipher, gallisiert zu zero - wollen wir es Ground Zero nennen.

Babel ist die Herausforderung des Demiurgen und die Hybris des Herzens, ein Zikkurat, der nach noch ungeborenen Sonnen strebt, im Mund der Mund als Sehnsucht: Der Mensch schafft Götter.

Wo zuvor der Nördliche und Südliche Phallus standen, gähnt jetzt eine schwelende Kluft, den wechselhaften Brisen unterworfener Rauch.

Der Rauch beinhaltet Körper; wir atmen einander. Daher ist Babel Kabul. Wir atmen einander.

Wie Ares über allen Hauptstädten der Welt brütet: Möbelfragmente, gesponnen aus gekaperten Cockpits, Fremde blinzeln in die Krater des Mars.

Babel ist Kabul: Babel ist eine Bibel in der Schublade einer Kommode in einem Motelzimmer in Birmingham, Alabama: Babel ist die Strandpromenade der Battery Park Esplanade, und die Menschen warten immer noch im Flughafen in Santo Domingo.

Babel: das schönste Mädchen in ganz Kashgar, schwarzes Haar, schwarze Augen, vielleicht 13 Jahre alt, in einem fröhlichen roten Kleid, das bewundernd die ausländische Dame anstarrt, die der Zufall in ihre Gasse geführt hat, das sanft, zögernd, eine einzige englische Phrase artikuliert, an diese Dame gerichtet: “How do you do?

Babel ist couragiert, das Skrotum aus einigen verschmolzen, unsere verrückte extravagante Metropolis, nicht schüchtern, immer noch auf der Suche nach den Gipfeln, den Herausforderungen.

Babel war Mesopotamien, die einzige Supermacht seiner Ära: das Hohelied des Gilgamesch, der Irak der modernen Zeit.

Babel ist Bagdad, Babel ist Belgrad, Babel ist unser Hinterhof, eine Welt, die unablässig mit sich selbst Namen tauscht und handelt.

Babbeln in drei Sprachen, Babbeln in dreitausend: Bindet Euch ein Lätzchen um.

Ein Baby babbelte von Bücher fressenden Löwen. Und diese Löwen fraßen die Bücher: Babel ist die Bücher in den Regalen der Bibliothek der Seltsamkeiten.

Keine lärmende Meute in Babel: jedermanns Rede eine gleich berechtigte Muse. Folglich: bombardiert sie mit Butter.

Hier ist die Klinge, mit der Babel abgeschafft wurde, hier sind die Furchen, wo Babel beginnt, die keine Saat boykottieren kann.

Babel spült seine Eltern in Trauer, Babel belohnt seine Schöpfer mit Blindschleichen, Babel ist Geburt, Wiederaufbau mit Kränen von Verbrechen aller Art, so, wie das Leben ein Dolch ist, so, wie alle Kriege mit einem Desaster in irgend einem Bett beginnen.

Die ihre Möse mit einem Stanleymesser rasierte: geboren aus Trümmern, "ba" steht für Vater, "ma" steht für Mutter, heilige Paviane patrouillieren in ihren Fußgängerzonen.

Babel ist Buddha, der ohne Worte auskommt, Babel ist Paarung, Donner, Walfett und Regen, Babel ist Schuld, Babel ist die Axt, Babel ist Bush-ben-Laden und Ruhm.

Wenn hohe Fassaden ebenso zerbröseln wie eine Felswand, wie so viele grenzenlose Berge, entbietet Captain FBI ein schlichtes "Mea culpa".

Das Babbeln der Wellen, das Babbeln der Schwungräder, der Kaufleute und Geschäfte, eine Stadt, stolz auf ihr Eisen und ihr Gehirn: Babbeln ist ein Prahler, Babbeln ist eine Kanzel, Babbeln ist ein Wort auf Deiner Zungenspitze oder das in den lodernden Nüstern eines Stiers lagernde Ärgernis.

Ich bin mit dem Turm zu Babel gestürzt.

Ich kann nicht einmal einen Grashalm genießen, bevor ich nicht weiß, dass eine U-Bahn in Reichweite ist, oder ein Plattenladen, oder irgend ein anderes Zeichen dafür, dass die Menschen dem Leben nicht vollständig nachtrauern.

Ist Stolpern, ist Stottern, ist Stein glatt wie Haut, Türme wiegen sich in der Art, wie sie sich im Wind wiegen, wie ein Mensch immer die halb-bewusste Marionette seiner Sprache ist.

Ist der Bäcker, dessen Kuchen zu heiß, dessen Pfannkuchen unwägbar, dessen Brote unheimlich und mit Schmerz bestreut sind.

Ist mit Salzwasser überdecktes Fleisch, ist vom Fieber rissiges Bitumen, Wölfe im Blut, die ein protuberantes Herz anheulen.

Babel ist der geschlagene Ballspieler, der zum Ballistiker wird; Babel ist ein Eiszapfen in Deinem Mund, so melodiös wie eine Flöte, so perkussiv in seinem Tropfen wie eine Schlagzeug.

Ein Turm, dessen verdrillte Ranken an ein Spalier mit Reben erinnert, Zerstörung gefordert vom Dionysos des Ostens, der den Westen traf, eine Weigerung, jeglichen Verlust des Selbsts zuzustimmen.

Babel ist nichts anderes als die Zelebration der Worte, ein Fackel bewehrtes Gespräch, Träume, die von noch größeren Träumen zum Kentern gebracht wurden, die Wahrheit jedes Kraters, das "Peng-Peng", das Euch aus dem Traum reisst, die Kluft zwischen "Es ist ein Unfall" und "Mein Gott, es ist Absicht", der B1-Bomber, den sie immer und immer wieder bauen, der Gegenschlag und der Gegenschlag auf den Gegenschlag und der Gegenschlag auf den Gegenschlag auf den Gegenschlag, Oh Barrio der Barrieren, unsere Republik der Angst.

Genug Elastizität, um sich mit dem Wind zu bewegen, genug Steifheit, damit niemand merkt, dass sich das Gebäude bewegt: Babel ist der Bubblegum, der in Deinem Gesicht klebt.

Babel ist Präsenz, Babel ist Absenz: nichts als die Zelebration der Präsenz. No mas zu heiligen Explosionen, no mas zur Okkupation des Lands: heilige Explosionen, die Okkupation des Lands.

Babel ist das Heulen eines Menschen, der von den Gipfeln springt, wo ihn kein anderer Mensch hören kann; Babel ist jener Moment, in dem man glaubt, man könne fliegen, eine knappe Kürze, die auf immer in Babels Unterbewussten andauert.

Babel ist ein Strahl Sonnenlicht, der erdgebunden herab stürzt, ein Bach von Strahlen, der herab stürzt, ein lichtvermintes Feld.

Der Turm zu Babel: Wort auf.

Wenn Architektur gefrorene Musik ist, dann sind diese geschmolzenen, rauchenden Tonscherben ihre Melodien, ihre hell strahlenden Beisetzungsstätten - Babel wurde zu dem, was Euch zu singen anfleht.

                                

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"... es ist exakt in der Hitze des Kriegs, wo diese tiefen sozialen Konvulsionen stattfinden, die die alten Institutionen zerstören und den Menschen neu gestalten, wo, in anderen Worten, die Saat des Friedens in den Verwüstungen des Kriegs keimen. Das brennende menschliche Streben nach Frieden ist nie so stark wie zur Kriegszeit. Daher gibt es unter keinen anderen sozialen Umständen so viele starke Impulse, die danach streben, die Umstände zu verändern, welche den Krieg produzieren. Die Menschen lernten, Dämme zu bauen, als sie unter Hochwasser litten. Der Friede kann nur zur Kriegszeit geschmiedet werden, dann und nur dann." - Wilhelm Reich, Die Massenpsychologie des Faschismus

Wie viele Wellen hat der Mond seit 1991 im Persischen Golf generiert?

Wie viele Wellen haben der Mond und der Atlantik seit 1491-und-ein-halb kollaboriert?

Was war die Gesamtzahl von Brechern, die sich seit Anbeginn des Lebens aus den Meeren dieser Erde erhoben haben?

Kann sich jemand die Anzahl der Wellen vorstellen, die der Pazifik seit Nagasaki und Hiroshima geweint hat?

Sie hissen Flaggen, so, wie Pferde Scheuklappen tragen; sie hissen Flaggen in Hülle und Fülle. Sie wollen Kriege, ohne es zu realisieren.

Sie signalisieren Krieg, einige realisieren es, und einige realisieren es nicht; sie hissen Flaggen, so, wie Matadore ihr rotes Tuch schwenken.

Jeder Einzelne leidet still in der Stille seines oder ihres eigenen Betts; zwei Wasserhähne tropfen unsynchron; drei Spülen, vier Spülen, fünf Spülen, jede davon mit einem tropfenden Wasserhahn; alle Meere geschlagen und geschüttelt von kolossalen Winden.

Der Turm zu Babel: von Land umschlossen, eine verlassene Baustelle, von der die Farmer Steine holen.

Der Turm zu Babel: im Text ging ihm eine Sintflut voran.

In einem Wasserfall in New Mexico kommt mehr als Wasser, mehr als Schwerkraft, weniger als alles, was die Derbheit dieses Augenblicks jemals in Worte kleiden könnte.

Es ist natürlich, dass Wasser fällt. Es ist natürlich, dass Wasser von den Klippen fällt, und es ist natürlich für Türme, dass sie schmelzen, wenn sie überwältigender Hitze ausgesetzt werden. Dasselbe gilt für Hütten. 07. Oktober 2001.

Lehmhütten haben ihre eigene Art zu fallen, sie werden in der Zerstörung transformiert. 08. Oktober 2001.

Der Tod des Friedens geschah vor langer Zeit, aber dieses Ereignis wurde weder von einem Stein noch von einer Zahl markiert.

Die Kriege kommen in Wellen.

Collateral damage - Begleitschäden - ist ein wortwörtlicher Begriff, aber die rohe Gewalt des Texts trifft den Gegner des Texts.

Poesie: Tod ohne Frieden.

06. August 1945: endloser Tod.

Jeden Tod sterben. Sich weigern zu töten. 11. Oktober 2001.

12. Oktober 2001: Nein, das sind meine Steuergelder.

Wenn sogar die Trauer ihrer eigenen Maßlosigkeit Vorrang gibt. Bushs Rede an die Nation, 20. September 2001.

Die Nation schwelgt in ihrer eigenen Trauer, die Fehler der Nation werden glorifiziert, mit Lob umrankt, transformiert in heroische Momente, heilige Opferhandlungen: Handlungen, die unnotwendig gewesen wären, wenn frühere Fehler auf einer höheren Ebene vermieden worden wären, bei den Eliten; und es kann tatsächlich gesagt werden, dass jene, die starben, sich für die Sünden der Öleliten opferten. Herbst 2001.

Weder unschuldig noch die Gewalt jener Flammen verdienend: niemand verdient die Gewalt jener Flammen, niemand ist unschuldig.

Trauer. Nur Trauer. Nicht ausgeschmückt durch heroische Gesten, muss sie ohne jenen heroischen Trost auskommen, den die Leidtragenden angeblich nötig haben. Aber haben es die Leidtragenden wirklich nötig, ihren Tod als heroisch anzusehen? Oder haben es die Leidtragenden nötig, ihre toten Lieben als jene zu sehen, die um ihr Leben betrogen wurden, von überflüssigen dialektischen oder disproportionalen Extremen?

Eine andere Art von Geste: eine andere Art von Mission: eine andere Art von Innenleben.

Nicht der Feuerwehrmann, der seine Sirene zur Friedenskundgebung auf dem Times Square brachte, und jede Rede, jeden Sprecher, ertrinken ließ im lauten Geplärre seines Berufs: sondern die Feuerwehrleute, Männer und Frauen, die in dem Massengrab gruben, waren die ersten, die den Boden für heilig erklärten.

In einem Wasserfall in New Mexico kommt mehr als Wasser, mehr als Schwerkraft, mehr als ein fataler Kopfsprung, etwas, das subtil weniger ist, als ein Monotheist jemals in Worte kleiden könnte.

Die Anzahl der Wellen, die der Pazifik seit Nagasaki und Hiroshima geweint hat, multipiliziert sich kontinuierlich.

Es ist natürlich, dass Wasser fällt. Es ist natürlich, sich das Ende der Welt vorzustellen. Indem wir uns das Ende der Welt vorstellen, schützen wir unseren Way of Life, unsere Lebensart.

In jenen Tagen, in denen Antworten als selbstverständlich dargeboten werden, wird ein neuer Turm zu Babel geschmiedet: nicht die Konfusion der Worte als der Impuls, das Schweigen eines tumben Einverständnisses umzuwandlen, nicht länger empfindungslos vor einer einzigen göttlichen Authorität oder einem einzigen Empire.

Lasst einen neuen Turm zu Babel den Himmel berühren. Lasst einen neuen Turm zu Babel sich responsiv dem Mond zuneigen. Ischtar, Inschallah, Quetzalcoatl.    Babbeln    Babbeln    Babbeln.

                       

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Barry Bearak, The New York Times, 15. Dezember 2001, Madoo, Afghanistan:

"Vielleicht wird es eines Tages eine Abrechnung geben für dieses kleine Dorf von 15 Häusern, die allesamt ausgelöscht wurden, transformiert in Holzsplitter und Staub durch amerikanische Bomben. Die US-Militärbehörden sind vielleicht in der Lage, zu erklären, warum hier am 01. Dezember 55 Menschen starben... Aber es ist wahrscheinlicher, dass Madoo nicht erfahren wird, ob diese Bomben aus einem Fehler heraus abgeworfen wurden oder absichtlich, und dass diese Angelegenheit inmitten all der größeren Konsequenzen des Krieges vergessen wird. Was zurück bleibt, ist ein anonymer Weiler mit anonymen Menschen, begraben in anonymen Gräbern... Amerikas eigene Anti-Taliban-Verbündete waren geschockt und behaupteten, dass die Zielfindung fehlerhaft war und dass hunderte von Unschuldigen getötet worden waren. Es war 'wie ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit', sagte Hajji Muhammad Zaman, ein lokaler Militärbefehlshaber."

Die Bauern von Madoo sind in Stücke zerrissene Menschen. Sie wurden zu ihrem eigenen Dünger... Wenn man davon ausgeht, dass die Regenfälle einsetzen, dann taten wir ihnen damit einen Gefallen, suggeriert eine Cartoon-Version des Verteidigungsministers R. (Großes Gelächter). Aber es besteht überhaupt kein Bedarf an einem solchen Cartoon. Wir haben das Konzept des collateral damage bereits fest etabliert.

Wer mit seinem Herzen sieht, wie Paz es ausdrücken würde, sieht Madoo als sich selbst; und wer kann Madoo nicht mit seinem Herzen sehen? ("Männer mit fossilem Verstand, mit öligen Zungen", schlägt der Cartoonist vor.)

Jedes Gesicht, eine Maske; jedes Haus eine Ruine aus Lehmziegeln und Holz.

Wessen Schwestern wurden getötet? Collateral damage - Begleitschäden können nie vorhergesagt werden. (Terroristen zielen auf keine speziellen Schwestern.) (Der amerikanische Angriff kam in vier separaten Wellen.)

Es wäre barbarisch, nach Madoo Gedichte zu schreiben. (Theodor Adorno)

"'Wir müssen ihre Körper noch finden'"

"'viele Schichten von Trümmern'"

"'und jetzt leben wir damit'"

"'Geheimnis'":

Hr. Sayeth Gul Senior, Einwohner von Madoo,
obwohl er genauso gut von Manhatten sprechen könnte.

"Gramgebeugter alter Mann" "weißer Bart" "zerfurchte Stirn":

“dann Paia Gul”  “junger Mann” “mit bitteren Augen”: "'Ich beschuldige'"

"'die Araber'" "'dann ergänzt er sein eigenes'" "'Statement'"

"'Ich beschuldige die Araber'" "'und die Amerikaner'"

"'Das sind alles schreckliche Menschen'"

"'Sie alle sind die schlimmsten Menschen der Welt'"

"'die meisten Toten waren Kinder'".

 

Duft Vogelgezwitscher Weizenfelder
Hr. Bearak berichtet zwei Wochen nach der Apokalypse von Madoo.

Er erntet Metallfragmente von den Bomben,
hofft, den nächsten Winter zu überleben.

Hinter der Anekdote ertönt eine Hymne, die wir nur summen können, demütig in unserem Entstehen,
die Vögel kritzeln wie Autoren in der aufregenden Ephemere der Luft.

"Ich ging im Gemüsebeet

spät in der Nacht, und entsetzt fand ich

den abgetrennten Kopf meiner

Tochter, der am Boden lag.

Ihre Augen nach oben gerichtet, starrten mich an, wie in Extase...

(Aus der Ferne schien es

ein Stein zu sein, umkränzt von Licht,

als wie dorthin geschleudert vom Großen Knall.)

Was um alles auf der Welt machst du hier, sagte ich,

du siehst lächerlich aus.

Einige Jungen haben mich hier begraben,
sagte sie missmutig."

-  Araki Yasusada, Doubled Flowering,  die Hügel
rund um Hiroshima, 25. Dezember 1945

Krater. Das Skelett eines Traktors. Ein totes Schaf.

Ein Urne, zerstampft zu einer Scheibe;

unerträglich, "ungewollt", un-amerikanisch

     Ax Americana;

weit von Mekka, und Madoo, Tora Bora,

ein unzerstörter Raum.

 

Zorn kann nicht begraben werden.

Ein Gebet ist perfekt, wenn der Betende nicht daran denkt, dass er betet.

Alles zittert vor dem Tod. (Kandinsky).

Hinweis: Schickt Emails an die Reporter, fragt sie, ob dort jemals Pappelreihen standen.

Mondstein, gesaugt in die Atmosphäre geschrumpfter Künste; kein Held - kein Hero, aber auch kein Nero; die uns zugewandte Hälfte ist heute voll.

 Wie es im Kaushitaki Upanishad steht, “der Lebensatem ist eins.”

Das Wort "Madoo" ist die Transkription eines paschtunischen Namens, den die Reporter herausgehört haben müssen.

In Englisch also "Madoo".

Im Englischen leitet sich der Name "Madoo" von einem alten schottischen Wort ab, das "my dove" bedeutet - "meine Taube".

 

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Er stellte sich vor, der berühmte weise Mann zu sein, dem es gelungen war, mit dem Wüstensand zu sprechen.

Es war nicht so weise von ihm, eben den Sand, in dem er wanderte, so völlig berühmt zu machen.

Wie weise war es für diesen gut gekleideten Mann, umgeben von Stille, kontinuierlich weiter zu babbeln, wenn niemand dort war?

Da waren Unmengen von Luft. Alles war sehr heiß.

Einundzwanzig Schritte in die Wüste, und die Straße verschwindet aus dem Blickfeld. Jeglicher Orientierungssinn entflattert dem Gehirn gleich einem Kolibri. Niemand wüsste, wohin du gegangen bist, nicht einmal du selbst.

Die Dünen bewegen sich. Die Straße verschwindet, auch wenn du bewegungslos verharrst, wie angewurzelt in ihrer Mitte. Man könnte Leute anheuern, um den Sand zu durchsuchen. Aber dafür braucht es Geld.

Das Schweigen der Wüste Takla Makan ist weithin bekannt.

Die Chinesen erbauten die Straße für Tankwagen. Um Fässer mit Öl durchzuführen. Und das machen sie. Obwohl es kaum Bedeutung hat. Lastwagen sind kleine Punkte.

Er stellte sich vor, der obskure weise Mann zu sein, dem es gelungen war, mit den Wüstenpappeln zu sprechen.

"Wie lebt es sich in einer Wüste?", fragte er einen robusten Baum und wartete. Denn “truth” kommt von “tree” - "Wahrheit" kommt von "Baum".

In der aufregenden Ephemere der Luft wirbelt pinke Farbe von der Abschied nehmenden Sonne, Energie steigt unter ihrem Rock hervor auf zum Himmel, oder vielleicht ist es der Mann, es ist der Mann, der lavendel wird vor Liebe.

Und die Wüstenpappel antwortete: "Binde Dir ein Lätzchen um." Und fügte dann hinzu: "Bitte gestatte mir, das Wort 'ruhig' hinzuzufügen."

Und der Mann ging fort, nicht sicher, ob er es verstanden hatte, nicht sicher, ob er jemals die Sprache der Wüstenpappeln sprechen würde.

Aber er band sich ein Lätzchen um. Er trug immer ein Lätzchen. Im Schlafzimmer. Im Sitzungssaal.

Als ihn die anderen Manager fragten, was da vor sich gehe, antwortete er ruhig: "Ich bleibe ein Kind."

Die Zukunft des Geistes ist nie vorgegeben.

Natürlich wurde der weise Man schließlich hinausgeworfen.

Die Straße hatte begonnen, unter seinen Füßen zu verschwinden.

Sand irritiert die ersten Wächter.

Mein Wortschatz hat mir das angetan, dachte er.

Ich muss meinen Wortschatz erweitern.

 

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Um mit dem Bau des Neuen Babel zu beginnen, dort, wo früher das Alte Babel stand.

Babel ist gefrierendes Wasser, trotz der blendenden Sonne, über einer Schaufensterfront knirschend am Broadway und der 168. Straße, Babel ist ein Eiszapfen, der will, dass du herüber kommst und ihn durch deinen warmen Lederhandschuh streichst.

Um Lower Manhatten wieder aufzubauen, wie Hiroshima wieder aufgebaut wurde, wie vergleichsweise klein die Skala dieser neuen Zerstörung auch war, trocknen Kormorane ihre Schwingen in einem warmen Luftstrom.

Kom, nahe neben, bei mit. Germanisch ga, Altenglisch ge, zusammen. Lateinisch cum, kommen mit. Suffix-Form kom-tra, lateinisch contra, gegen, Suffix-Form kom-yo, griechisch koinos, gemeinsam.”

Folglich: Es ist an der Zeit zu kommen, vorbei die Zeit, um gegen etwas, über etwas zu kommen (Patriotismus als fehlgeleitete Libido).

Babel ist die einzige akzeptable Waffe, eine Zunge in deinem Mund, dann die Zunge eines anderen in deinem Mund; eine Zunge im Mund ist die einzige akzeptable Waffe, und hier kommt die Zunge eines anderen.

Babel ist nie und niemals Ware; Babel ist garantiert nie und niemals Ware, da es Waren zu Fall bringen.

Befreit euch von der Begierde nach Waren, obwohl Damenunterwäsche begehrenswert ist; Babel ist Widerspruch ohne zu heucheln, Ware verführt die Obacht.

Babel ist Hände auf Schultern, Liebkosung der Brüste, ununterbrochen brennendes Apfelholz, ununterbrochen scheinendes Kirschholz, Nebel, die aus innerer Stärke entspringen und die Lippen befeuchten.

Wie reimt man einen gigantischen Baum, einen ganzen Redwood? Das ist die Pflanze, die in Babels Gehirn wächst.

Babel ist ein Bauch, so flach wie ein Buch, eine Rundung, so sanft wie eine Düne, ein Traum, geschmeidig wie ein Turner.

Ein Schwanz, der in deinen Mund ragt, eine Muschi, die deinen Mittelfinger umkreist: Babbelns Heimat.

Babel ist das Verlangen zu bestätigen, wenn du weißt, das es nicht möglich ist, eine Beule in deiner Hose so weich wie der Stein, in den man Petroglyphen meißelt; Babel ist eine ungewöhnlich lange Nase, die dich dennoch anturnt, eine Wendung in der Diskussion, die dich plötzlich sprachlos zurück lässt, die biblischen Propheten, die in ehrfürchtige Scheu zurück fallen, Tunnel im Cranium, durch die niemals ein Funke herab geflossen ist, der nicht nur lernte, ein Rad zu führen, sondern sich ihm auch zu beugen.

Babel ist ein Schneeleopard, dessen Präsenz Stille gebietet, ein Tiger, in den du dich verwandeltst, in dem Moment, wenn deine Lider gesenkt sind, ein Hund mit der Nase am Arsch eines anderen Hundes; Babel ist eine reine Hyäne und eine schmutzige Hyäne, eine reine Hyäne und eine geifernde Hyäne, eine reine Hyäne und eine Surikate mit schrecklich spitzen Kopf.

Babel ist eine Blase, die immer platzt, die Banken, die bankrott gehen, die Form von Genuss, die dich nichts kostet außer deiner eigenen Energie, während du sie generierst.

Babel ist eine Serie von Liebkosungen, die ineinander übergehen.

Babel involviert, indem es dir selbst auferlegt, baren Hauptes zu stehen, unter dem Unwetter Gottes, um die Blitze des Vaters mit bloßen Händen zu packen und den Menschen dieses Geschenk des Himmels darzubieten, gehüllt in dein Lied. (Hölderlin).

Da ich dazu bereit bin, Dich zu ehren und Dich zu lästern in ein- und demselben Moment, ist mein Geist die Moschee, in der sich Mann und Frau vermischen - Mr. Letzter Monotheistischer Gott Immer Noch Aufrecht Stehend.

Babel ist Bewusstsein und Kommwusstsein, Schwanzwusstsein und Mösewusstsein, und Kommwusstsein und Bewusstsein schmecken hier, und hier, und hier...

Arbeitshypothese Nr. 1: präzise für die Liebe und nicht Präzisionsbombardement.

 

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Nerven, verhüllt unter der Burqa, wie sie in bestimmten Ländern vorgeschrieben ist; das Auge sieht nur die Burqa, wie in bestimmten Kulturen erlebt: Ganze Reiche, in denen die Menschen von einander fordern, hinter der Burqa zu leben.

Nicht der Techno-Schleier der Konsumentenkultur, sondern die Techno-Burqa, ohne irgendein Loch für den Kopf.

Es ist eine wilde Sensibilität, wild und delikat, erzielt durch Überfluss und Bedürfnis, skandalisiert und desensibilisiert durch den eigenen Hunger nach Gewalt. Seine Jugendlichen schießen ihre eigenen Schulen zusammen, ihre gleichaltrigen Schulkameraden, und dann begehen sie Selbstmord. Ihre Kultur ist eine Toten-Maske, die Burqa ihr Insignium, maskierte Horden, durchtränkt von einem schlägerartigen, dingartigen Kult des gefühllosen Schmerz, ausgebrütet von den raffiniertesten Geschäftsleuten.

Die interne Burqa, die die Apperzeption behindert, die schwere Burqa, die mit mir geht, die lichtundurchlässige Burqa, deren Gegenwart der Reflexion spottet, die obligatorische Burqa, die in politischen Gremien getragen wird, die Flaschen-Burqa, die den Körper vor dem erotischen Selbst verbirgt, der schlechte Gegensatz von Burqa und Bikini, und andere seltsame Sitten, die dort praktiziert werden: vorzugeben, dass Macht nicht im sexuellen Drang wurzelt, die Last dieses Drangs Kindern aufzubürden, die nicht darauf vorbereitet sind, ihn zu ertragen.

Selbst auferlegtes Verbergen fällt immer unter dem Angriff der Selbstreflexion, oder, wie die Aufklärung lehrte und die Gründungsväter badeten: "das Auge, das das Sehen vermeidet, wird krank".

Kein Orientalismus, keine Exotik, keine Entmenschlichung des Anderen: Unsere Bürger weigern sich, noch länger die schwarze oder türkise Burqa zu tragen.

Keine Zuflucht in die Opferrolle, in der Uniform der Amnesie, in maskierte Subjektivität: Die Amerikaner werden nicht länger einen leinernen Sack über die Ereignisse werfen, die sich anderswo auf der Welt zutragen, sie werden nicht länger hinter ihrer Sicherheitsburqa hervor auf die Welt schielen.

Kein Nationalismus, der uns blind macht für die schrecklichen Verbrechen der Nation: der Generalstaatsanwalt wird nicht länger die Burqa über die Verbrechen werfen, die er selbst verübt, und auch der Verteidigungsminister wird das nicht länger tun.

Keine falsche Bescheidenheit, kein Weiterschieben des Schwarzen Peters: die Präsidentschaft und andere Maschinen des Kapitals werden nicht länger von ihren vielfältigen und verschiedenen Burqas verhüllt.

Papiere, die aus den brennenden Fenstern des Turms zu Babel flattern, zeigen auf, dass Worte alles sind, was zurück bleibt; Papier überlebt, wo Fleisch und Balken zertrümmert werden. Daher ist Babel nie eine Burqa, und Menschen müssen Knochen mit Worten ehren.

Babel überlebt die Offenbarung seines eigenen Geheimnisses, so, wie es Frauen tun; die Burqa ist nichts anderes als ihre eigene formlose Form.

Die Burqa ist der Triumph des Maskulinen über das Feminine, verbannt das Feminine aus dem öffentlichen Leben, wie Worte aus dem öffentlichen Leben verbannt werden in einer Kultur, in der die Realität der Worte verborgen wird.

Babel ist das Maskuline, das danach strebt, das Feminine zu erreichen und dabei ständig versagt, in den Rückschlägen beginnt es, sich selbst zu leben und sein gesamtes Samenpotential.

Babel ist die feminine Ambition und Möglichkeit aller Dinge, einschließlich jener spezialisierten Zellen, die nach Vertikalität streben.

Wenn man die toten Sterne nehmen und all jene Steine auf einem Platz versammeln könnte, um einen Turm zu erbauen...

Und doch treibt der Körper in einer Plazenta von Worten, und kein Wort ist je verständlich, außer in dem Moment, in dem es bebend auftaucht dort zwischen den Beinen, nackt wie der Ort zwischen den Beinen, und, im nächsten Funkeln, kommt es schreiend, um bald wieder zurück zu fallen, nicht mehr, aber nicht weniger als die Worte, die es rasch verstreut hat...

Es ist die kleine Stecknadel, die den riesigen Ballon zersticht (Oppen). Es ist das Spermium, im Wettschwimmen um das Ei. Ein Abfeuern, das rein gar nichts mit Raketen zu tun hat.

Arbeitshypothese Nr. 2: präzise für die Liebe und kein Präzisionsbombardement.

       

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Schnitzer         Libido         Gehirn         Pentagon         Abgeschiedenheit

Dorf         Allah          Singvögel         Schwestern          Lavendel

Geheimnis         Metall         Emir         Amerikaner         Eiszapfen

Kinder         Gänseblümchen          Pflaumen          Lehmziegel         Phallus

Schafe         Quetzalcoatl         Flughafen          Orphisch         Präsident

Lätzchen         Leben-Feuer          Bauer         feminin         Gemüsebeet

Mondstein          Mekka          Manhattan          Paschtune          Apperzeption

Mondstein         Mutter          Pappel          Damm          Gebet

Axt          Email          umkränzt          Tochter          Innenstadt

Kuss          Orientale          Präzision          Gram          Schotte.

                                  

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Was angebetet wird, ist nicht im oberen Stockwerk. Du hast es oft geküsst, neben den süßen Flanken der lebenden Eiche, weshalb du weißt, dass es nebensächlich ist, vorgestellt und nicht vorgestellt gedacht, ein nasser Schwall zwischen den Beinen, ein Band zwischen abhängigen Realitäten und Babylons Turm, für den noch ein passendes Wort kommen wird.

Die Blumentöpfe zerbrechen rund um dich, die Schildkrötenpanzer verlieren ihre Zeichnungen, in dem Moment, wenn die Stadt ihre Fesseln zu verlieren scheint. Wie die Kulturrevolution ganz von vorne, die Väter auf das Land entsandt, der Bruch mit der Mutter endgültig, der Central Park erstreckt sich nach außen, wie ein gewaltiges Expandieren in Zeitlupe, vereinzelt mit Zuschauern, erstarrt in ihrer Ungläubigkeit. Du wusstest, deine Haut würde auf ewig hungern, dass Tränen und deren Begleitung immer aus der Absenz der Worte klingen würden; Große Charakterposter wären das Geschäft des Tages, das, und das Aufscheuchen der Höhlen der Tiger. Mit Dezember sammelt sich grünes Wasser in der Grube des Kraters.

Und doch, "der tiefer unbefriedigte Krieg unter und hinter dem erklärten Krieg" (Duncan), die widersprüchlichen Egotismen, die Hooligans der Anmaßung, die Kampfgruppen, die Taktiken des Chaos, und Petroleum verteilt, all das beugt sich einer größeren Dialektik. Reichtümer explodieren rund um dich, die Freigebigkeit saust vorbei und schmerzt sogar noch mehr aufgrund ihrer Schönheit: Felsblöcke und blendende Sonne.

Und die Zungen waren so verblüfft, dass jede einzelne ihrem Freund als schusselig erschien, solange, bis nicht einmal mehr Mann und Frau wussten, wie sie miteinander sprechen sollten... Mörder hart an der Arbeit über dem Grund, und alles, was du hast, sind diese Wahrnehmungen, organisiert in kleine Pakete von dynamischer Entschlossenheit, Gedächtnis und Antizipation bilden reziproke Standpunkte, haben vor heute lang vergangenen Zeiten die schwierigste Aufgabe für das Gehirn akzeptiert, die unserem Stamm je auferlegt werden kann. Blendend.

Sand irritiert die ersten Wächter.

"Rette jene, die weinen" (Eluard).

Was angebetet wird, ist nicht im oberen Stockwerk. Weil das bereits der oberste Stock ist. Wie Bina, in Bengali, sich auf das Instrument bezieht, das Saraswati, die Göttin des Lernes, bestimmt ist zu spielen. Fühle die Straffheit dieser Seiten. Erinnere dich an die Bücher mit zerrissenen Einbänden und Deckblättern und folglich ohne Titel und Autor: Wörter, gelesen in der pursten Form, Bücher, die still und heimlich erworben werden, ein Feuer, letztendlich anerkannt als unlöschbar.

Was angebetet wird, ist nicht im oberen Stockwerk. Weil das das Erdgeschoss ist. Unter geheimnisvollen Pflanzen sonnst du dich in jemanden, der deine Sonne ist und doch unter dir ruht, wie eine Grundlage. Lass deine Finger durch ihre Zehen laufen. Risse eines Ursprungs, der Wunder um Wunder beinhaltet.

Die Dinge versammeln sich fürwahr in ihrer eigenen Rotunde; ein Waldstorch beugt sich in der Zypresse, Teil eines größeren Ökosystems, ohne eine bestimmte Hauptstadt oder Zentrum.

Die Stunde wird wirklich jünger.

 

Leonard Schwartz wurde 1963 in New York City geboren. Er ist Autor mehrerer Gedicht-Sammelbände, darunter Words Before The Articulate: New and Selected Poems, (Talisman House), Gnostic Blessing (Goats and Compasses), Meditation (Cloud House), Objects of Thought, Attempts At Speech (Gnosis Press) und Exiles: Ends (Red Dust Press). Er hat auch einen Essay-Band geschrieben, der unter dem Titel A Flicker At The Edge Of Things: Essays on Poetics 1987-1997 (Spuyten Duyvil) erschien, und ist Mitherausgeber von zwei Anthologien zeitgenössischer amerikanischer Dichtkunst: Primary Trouble: An Anthology of Contemporary American Poetry, und An Anthology of New (American) Poets (beide erschienen beim Verlag Talisman House). In den letzten Jahren hat er bei internationalen Festivals, Konferenzen und in Universitäten in China, in der Türkei, in Frankreich, Belgien, Portugal, Russland und Peru aus seinen Werken gelesen, sowie bei zahlreichen Zusammenkünften in den USA, vom Bumbershoot Festival in Seattle bis zur Universität von Hawaii, zum College von Santa Fe und dem Projekt 'St. Marks Poetry Project' in New York. 1997 erhielt er den 'National Endowment for the Arts Fellowship in Poetry'. Leonard Schwartz lebt in NYC, mit seiner Frau, der Dichterin Zhang Er, und ihrer Tochter Cleo. Er ist zu erreichen unter der Email-Adresse: Zherlsch@aol.com